Nora Roberts
Selbstvertrauen gelernt hatte.
Sie lächelte, als Shannon ihr mit dem Lappen über die verschwitzten Brauen fuhr. »Ich habe dir gar nicht oft genug gesagt, wie stolz du mich machst, Shannon.«
»Natürlich hast du das.«
»Nein, ich habe dich stets spüren lassen, wie enttäuscht ich war, weil du dich nicht für die Malerei entschieden hast. Das war egoistisch von mir. Dabei weiß ich besser als die meisten Menschen, daß eine Frau ihren eigenen Weg finden muß.«
»Du hast nie versucht, mir auszureden, nach New York oder in die Werbebranche zu gehen. Außerdem male ich ja noch«, fügte sie mit einem ermutigenden Lächeln hinzu. »Im Augenblick bin ich mit einem Stilleben beschäftigt, das dir bestimmt gefallen wird.«
Weshalb nur hatte sie ihre Malsachen nicht mitgebracht? Verdammt, weshalb hatte sie nicht an ein paar Farben oder wenigstens an einen Skizzenblock gedacht? Dann hätte sie bei ihrer Mutter sitzen und ihr die Freude bereiten können, daß sie sie beim Zeichnen zusehen ließ.
»Das hier ist eins meiner Lieblingsbilder.« Amanda wies auf das Portrait an der Wand. »Das Bild von deinem Vater, wie er auf einer Liege im Garten liegt und schläft.«
»Wie er sich geistig aufs Rasenmähen vorbereitet«, verbesserte Shannon und lächelte. Sie legte den Lappen beiseite und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. »Und jedesmal, wenn wir gefragt haben, warum er nicht irgendeinen Schüler den Rasen mähen läßt, hat er behauptet, die Bewegung täte ihm gut, ist rausgegangen und hat sich schlafen gelegt.«
»Er hat mich immer zum Lachen gebracht. Ich vermisse ihn.« Amanda strich über Shannons Handgelenk. »Und ich weiß, daß du ihn ebenfalls vermißt.«
»Ich denke immer noch, daß er jeden Augenblick zur Tür reinkommen muß. > Mandy, Shannon < , würde er sagen, > zieht eure besten Kleider an, ich habe gerade für einen Klienten zehntausend Dollar gemacht und lade euch zum Essen ein. < «
»Er hat es geliebt, Geld zu verdienen«, sagte Amanda in versonnenem Ton. »Es war wie ein Spiel für ihn. Dabei ging es nie um Dollar oder Cent, nie um Habgier oder Selbstsucht, sondern nur um den Spaß. Genau wie er gerne alle paar Jahre umgezogen ist. > Laß uns weiterziehen, Mandy. Was meinst du, probieren wir mal Colorado oder Memphis aus?« <
Lachend schüttelte sie den Kopf. Oh, es tat gut zu lachen, nur für einen Augenblick so zu tun, als plauderten sie nett miteinander wie so oft zuvor. »Und als wir schließlich hierher kamen, sagte ich, ich hätte lange genug Zigeuner gespielt, und nun wollte ich für uns alle ein richtiges Heim. Und er ließ sich hier nieder, als hätte er nur auf den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort gewartet, um endlich zu Hause zu sein.«
»Er hat dieses Haus geliebt«, murmelte Shannon. »Genau wie ich. Das häufige Umziehen hat mir nie etwas ausgemacht. Er hat es immer zu einem Abenteuer werden lassen. Aber ich erinnere mich daran, wie ich ungefähr eine Woche nach unserem Einzug in meinem Zimmer saß und dachte, ich würde gerne auf Dauer hierbleiben.« Sie sah ihre Mutter lächelnd an. »Ich schätze, daß es uns allen ähnlich ging.«
»Er hätte Berge für dich versetzt, hätte für dich gegen Tiger gekämpft.« Amandas Stimme zitterte, doch dann beherrschte sie sich. »Weißt du überhaupt, Shannon, bist du dir wirklich klar darüber, wie sehr er dich geliebt hat?«
»Ja.« Sie nahm die Hand ihrer Mutter und hob sie an ihr Gesicht. »Ich weiß es.«
»Vergiß es nicht. Vergiß es nie. Ich muß dir Dinge erzählen, Shannon, die sicher schmerzlich für dich sind, die dich zornig machen und verwirren werden. Es tut mir leid.« Sie atmete tief ein.
Neben der Liebe und der Trauer hatte sie noch etwas anderes in ihrem Traum verspürt. Dringlichkeit. Amanda wußte, ihr blieben noch nicht einmal mehr die mageren drei Wochen, die der Arzt versprochen hatte, als sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war.
»Mom, ich weiß, was du meinst. Aber es gibt immer noch Hoffnung. Es gibt immer Hoffnung.«
»Es hat nichts mit dem hier zu tun«, sagte sie, wobei sie mit der Hand in Richtung der Krankenpflegeutensilien wies. »Es hat mit der Vergangenheit zu tun, mein Liebling, mit der Vergangenheit. Mit der Zeit, als ich mit einer Freundin in Irland war.«
»Ich wußte gar nicht, daß du jemals in Irland warst.« Irgend etwas daran kam Shannon eigenartig vor. »Bei all den Reisen, die wir unternommen haben, habe ich mich immer gewundert, weshalb wir nie in Irland waren,
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