Nora Roberts
wurden
schwer, aber sie zwang sich, sie offen zu halten. »Bitte«, setzte sie hinzu.
»Mir
scheint, Sie lassen sich genauso ungern etwas sagen wie er.«
»Ja.« Sie
brachte ein Lächeln zustande. »Das stimmt.«
»Ich
schicke ihn herein. Aber nur für ein paar Minuten.« Anschließend, dachte er mit
einem geschulten Blick auf ihre schweren Augenlider, werden Sie die nächsten
vierundzwanzig Stunden durchschlafen.
»Danke.«
Abwesend
nickend, raunte er der Schwester, die gerade das Zimmer betrat, etwas zu.
Slade trabte im Korridor auf und ab wie
ein Tiger im Käfig. Dutzende Gedanken und Ängste schossen ihm durch den Kopf.
Hinter seiner rechten Schläfe hämmerte ein pulsierender Schmerz. Sie war so
blass gewesen – nein, das war nur der Schock, sie würde sich davon erholen. Im
Krankenwagen war sie bewusstlos geworden. Das war vielleicht ganz gut so – sie
hätte sonst wahrscheinlich ziemlich starke Schmerzen gehabt. Verdammt, wo blieb
nur der Doktor? Wenn ihr irgendetwas geschah ... Sein Magen revoltierte wieder.
Slade schluckte, versuchte seine Bauchmuskeln zu entspannen, ließ Wut die Angst
vertreiben. Seine Kopfschmerzen strahlten in den Nacken aus. Wenn er sie nicht
bald sehen durfte, dann ...
»Sergeant?«
Slade packte den Arzt am Revers seines Kittels. »Jess? Wie geht es ihr? Ich
will sie sehn. Kann ich sie mit nach Hause nehmen?«
Versiert im
Umgang mit aufgeregten Ehegatten, Eltern und Geliebten, schlug der Doktor einen
ruhigen Tonfall an und machte sich nicht einmal die Mühe, sich aus Slades Griff
zu befreien. »Sie ist wach«, erklärte er schlicht. »Setzen wir uns doch.«
Slades
Finger schlossen sich fester um den weißen Stoff. »Warum?«
»Weil ich
seit heute Morgen um acht Uhr auf den Beinen bin«, gab er zurück, entschied
sich aber seufzend, dass es in diesem Fall besser war, mit seinem Gegenüber
stehend zu verhandeln. »Miss Winshlow geht es den Umständen entsprechend gut.«
»Und was,
zum Kuckuck, bedeutet das?«
»Genau das,
was die Worte besagen«, gab der Doktor gleichmütig zurück. »Die Sanitäter haben
perfekte Arbeit geleistet. Und bezüglich Ihrer zweiten Frage: Ja, Sie können
sie kurz sehen, und nein, Sie könne sie nicht mit nach Hause nehmen. Hat sie
irgendwelche Angehörigen?«
Slade
spürte, wie er blass wurde. »Angehörige? Was meinen Sie damit? Die Wunde war
nicht so schlimm, es war ein glatter Durchschuss. Binnen einer halben Stunde
war sie im Krankenhaus.«
»Sie haben
das alles prima gemacht«, beschied ihm der Arzt. »Ich möchte sie aber trotzdem
ein paar Tage zur Beobachtung hier behalten. Und ich muss wissen, wen ich
benachrichtigen soll.«
»Beobachtung?«
Schreckensvisionen spukten ihm durch den Kopf. »Was fehlt ihr denn?«
»Einfach
ausgedrückt: Erschöpfung und Schock. Oder bevorzugen Sie medizinische
Fachausdrücke?«
Slade
schüttelte den Kopf, ließ die Hände sinken und drehte sich um. »Nein.« Er rieb
sich übers Gesicht. »Das ist alles? Wird sie wieder ganz gesund?«
»Ja, sie
braucht nur Ruhe und Fürsorge. Wie ist das nun mit ihrer Familie?«
»Sie hat
hier niemanden.« Weil er nicht wusste, wohin mit seinen Händen, schob er sie in
die Jackentaschen. Ein Gefühl seltener Hilflosigkeit überfiel ihn und entzog
ihm die Kraft, die Anspannung und Wut ihm verliehen hatten. »Ich werde die
Verantwortung übernehmen.«
»Ich weiß,
dass es hier um eine polizeiliche Maßnahme geht, Sergeant, aber in welchem
Verhältnis genau stehen Sie zu Miss Winslow?«
Slade stieß
ein kurzes Lachen aus. »Babysitter«, murmelte er und wiederholte dann noch
einmal mit kräftiger Stimme: »Ich übernehme die Verantwortung. Setzen Sie sich
mit Commissioner Dodson in Verbindung, New York Police Department – er wird
meine Angaben bestätigen.« Slade wandte sich wieder um
und fixierte den Doktor mit einem direkten Blick. »Ich möchte sie sehen.
Jetzt.«
Jessica beobachtete die Tür, als Slade sie
öffnete. Auf ihren Lippen erschien ein Lächeln. »Ich wusste, dass du dich an
den Wachen vorbei schmuggeln würdest. Kannst du mich hier rausholen?«
Die Hände
immer noch in den Taschen vergraben, trat er an ihr Bett. Sie war so weiß wie
die Bettwäsche, auf der sie lag. Nur ihre Augen hoben sich ein wenig von ihrem
blassen Gesicht ab. Slade dachte daran, wie sie an diesem ersten Tag ihre
Begegnung gewesen war – vibrierend vor Energie und Lebenslust. Ein Gefühl der
Unzulänglichkeit überkam ihn und ließ ihn die Hände in den Taschen zu
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