Nora Roberts
Fäusten
ballen.
»Wie fühlst
du dich?«
»Ich sagte
dem Arzt schon, dass ich mich fühle wie angeschossen.« Vorsichtig berührte sie
den Verband an ihrem Arm. »Nein, eigentlich fühle ich mich, als hätte ich ein
Dutzend Martins gekippt und wäre von einer Klippe gestürzt.« Sie seufzte und
schloss für einen Moment die Augen. »Du wirst mich hier nicht rausholen,
stimmt's?«
»Richtig.«
»Das dachte
ich mir schon.« Resigniert hob sie die Lider und starrte die blaue
Plastikkaraffe an. »Slade. Die Diamanten, da habe ich gelogen. Ich habe sie
unter den Sitz meines Wagens geworfen. Und der steht mitten auf der Straße, auf
dem Weg zum Laden. Mir ist das Benzin ausgegangen.« Jetzt sah sie ihn an. »Er
ist nicht einmal abgeschlossen. Und ...« Slade schwieg.
Jessica
feuchtete sie die Lippen an. »Ich habe Michael Geld gegeben, damit er abhauen
kann. Das fällt wohl unter Beihilfe zur Flucht oder so etwas, nicht wahr? Ich
nehme an, ich stecke jetzt in Schwierigkeiten.«
»Darum
kümmere ich mich schon.«
Trotz ihrer
Benommenheit war sie überrascht. »Schreist du mich denn nicht an?«
»Nein.«
Sie hatte
Mühe, die Augen offen zu halten, lachte aber. »Ich muss mich anscheinend öfter
anschießen lassen.« Sie streckte ihm die Hand entgegen, nicht bemerkend, dass
er zögerte, sie zu ergreifen. »David hatte nichts mit der ganzen Sache zu tun.
Michael hat mir alles erzählt. David hatte nicht die geringste Ahnung, was da
ablief.«
»Ich weiß.«
»Offenbar
hatte ich halb Recht«, murmelte sie.
»Jess ...«
Ihre Hand fühlte sich so zerbrechlich an. »Es tut mir Leid.«
»Was denn?«
Jessica brachte nicht mehr die Kraft auf, die Augen offen zu halten. Die Welt
war sanft und grau, als sie sie schloss. Sie glaubte zu spüren, dass seine
Finger sich um die ihren schlossen, war sich aber nicht ganz sicher. »Du hast
doch nichts getan.«
»Nein.«
Slade sah sie auf ihre Hand herab. Sie war jetzt ganz schlaff; wenn er sie
losließe, würde sie auf die Bettdecke fallen. »Deshalb tut es mir ja Leid.«
»Jetzt ist
doch alles vorbei, oder, Slade?«
Sie atmete
tief und regelmässig, war eingeschlafen, ehe er noch antworten konnte. »Ja, es
ist alles vorbei, Jess.« Er beugte sich über sie, drückte ihr einen Kuss auf
die Lippen und verließ leise das Zimmer.
12
Slade unterdrückte das unangenehme Déjà-vu-Gefühl,
als er im Vorzimmer des Commissioners wartete. Seine finstere Miene war noch
ausgeprägter als beim ersten Mal, als er hier gesessen hatte. Drei Wochen waren
vergangen, seit er Jessicas Krankenbett verlassen hatte.
Vom
Krankenhaus aus war er direkt zu ihr nach Hause gefahren. Dort hatte er alles
einem verwirrten, dann wütenden und schließlich völlig durchgedrehten David
erklären müssen.
»Angeschossen?
Was meinen Sie mit angeschossen?« Slade sah immer noch Davids
schneeweißes, angstverzerrtes Gesieht vor
sich, hörte noch immer seine wütende Worte: »Wenn Sie ein Cop sind, warum haben
Sie sie dann nicht beschützt?«
Darauf
hatte er keine Antwort gewusst. Slade war hinauf gegangen und hatte gepackt,
noch während David die Nummer des Krankenhauses wählte. Darm war er nach Hause
gefahren, hatte die endlosen Meilen bis nach New York in dumpfer Resignation
zurückgelegt.
Slade hatte
sich vorgenommen, Jessica zu vergessen, genau wie er diesen letzten Auftrag
seiner Polizei-Karriere vergessen wollte. Sie würde die notwendige Ruhe und
Pflege erhalten, die sie brauchte. Wenn sie so weit genesen war, dass sie das
Krankenhaus verlassen konnte, würde dieser Albtraum hinter ihr liegen.
Zu Hause
angekommen, tat die völlige Erschöpfung, die einer langen Zeit der intensiven
Anspannung folgt, ihr übrigens. Er fiel ins Bett und schlief einmal rund um
die Uhr. Doch sein erster Gedanke nach dem Aufwachen hatte wieder Jessica
gegolten.
Er hatte
täglich im Krankenhaus angerufen und sich eingeredet, dass er die Sache nur
anständig zu Ende bringen wollte. Die Antworten waren immer die gleichen – sie
befände sich auf dem Weg der Besserung. Es gab Tage, da musste Slade mit aller
Kraft gegen den übermächtigen Wunsch ankämpfen, ins Auto zu steigen und zu ihr
zurückzufahren. Dann wurde sie entlassen. Und er sagte sich, dass das das Ende
der Geschichte sei.
Slade hatte
sich in eine wahre Arbeitsorgie gestürzt. Binnen sechzehn Stunden, bei
zugesperrter Tür und ausgehängtem Telefon, hatte er seinen Roman fertig
geschrieben. Nachdem er seinen Abschied eingereicht hatte, waren nur noch ein
paar
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