Noras Erziehung
nie getan?»
«Nein, ich habe noch keinem Frischling eins mit der Rute übergezogen. Hör zu, Nora, ich habe ja selbst nichts gegen ein paar Klapse einzuwenden. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass solche Dinge für neunundneunzig Prozent unserer gemeinen Wählerschaft ein Dorn im Auge sind. Es ist wirklich ganz einfach. Wenn du ernsthaft eine politische Karriere anstrebst – und dazu zähle ich auch die Vorteile, die sich für dich ergeben, wenn du für meinen Onkel arbeitest –, dann darfst du einfach nicht mit Männern wie James McLean in Verbindung gebracht werden. Du wirst dich also entscheiden müssen.»
18
Auch wenn er es nicht offen ausgesprochen hatte, so waren Giles’ Worte ohne Zweifel ein Ultimatum gewesen. Mein Instinkt sagte mir, seine Forderungen rundheraus abzulehnen, so wie ich es bereits mehr als einmal getan hatte, wenn jemand versuchte, mir in mein Leben oder meine Karriere reinzureden. Doch leider hatte Giles durchaus recht. Ich hatte zwar mein Bestes getan, um die Beziehung zu James und Violet geheim zu halten, aber wenn ich nicht bald den Kontakt zu den beiden abbrach, war es nur eine Frage der Zeit, bevor die Sache publik werden würde. Die Affäre könnte dadurch zu einer Leiche in meinem Keller mutieren – einer fetten, grinsenden Leiche mit Barett, Talar und einer Birkenrute in der Hand.
Dieses Risiko durfte ich einfach nicht eingehen. Aber wenn ich auch nur daran dachte, James und Violet zu sagen, dass es vorbei wäre, spürte ich ein Stechen in der Brust. Und dieses Stechen war nicht nur emotionales Leid, sondern ein geradezu körperlicher Schmerz. Die Tatsache, dass sie wahrscheinlich voller Verständnis darauf reagieren würden, machte das Ganze nur noch schlimmer, denn ich wusste, es würde Violet das Herz brechen. Und trotzdem war es ein Opfer, das ich bringen musste, wenn ich nicht alles aufgeben wollte, wofür ich so hart gearbeitet hatte. Und das nicht erst, seit ich nach Oxford gekommen war, sondern schon in der Schule. Ganz zu schweigen von all der Zeit und dem Geld, das meine Eltern in meine Ausbildung gesteckt hatten.
Zumindest würde ich immer noch Stephen haben, aber dieses Wissen fand ich weitaus weniger tröstlich als gedacht. Zwar verstanden wir uns ziemlich gut, aber die sexuelle Chemie zwischen uns stimmte nun mal gar nicht. Außerdem war ich nicht in ihn verliebt und würde es auch niemals sein. Und selbst wenn ich all das ignorierte und die Sache logisch betrachtete, stellte Stephen immer noch ein Risiko dar. Als Politikerin würde ich ganz sicher mit unter Beschuss geraten, wenn mein Ehemann dabei ertappt werden würde, wie er sich auf einem Sexurlaub in Thailand mit ein paar Ladyboys vergnügte. Dasselbe galt natürlich auch für mich, wenn man mich mit runtergezogenem Höschen auf dem Schoß eines unehrenhaft entlassenen Dozenten oder meiner lesbischen Geliebten erwischte.
Ich wusste, eigentlich sollte ich all diese Menschen hinter mir lassen und mich auf die Suche nach einem anderen starken Mann machen. Doch so schlecht wie es Fortuna offensichtlich mit mir meinte, würde der sich wahrscheinlich als Transvestit oder als Exhibitionist entpuppen. Und selbst wenn ich sicher sein könnte, dass er der perfekte Mann wäre, hätte ich es nicht getan. Die Vorstellung war einfach zu kalt und zu seelenlos und missfiel mir weitaus mehr, als einen Kompromiss mit Stephen zu finden.
Letzten Endes gab es nur eins, was ich tun konnte! Ich würde zu James’ radeln und erklären, dass ich in ihn und Violet verliebt war, ihm aber auch sagen, wie weh mir das tat. Auf unsere gemeinsame Zeit in Frankreich wollte ich zwar nicht verzichten, aber was Oxford anging, würden James und ich uns in Zukunft voneinander fernhalten müssen. Bei Violet sah die Sache schon anders aus. Schließlich würde sie bis zum Ende des Trimesters weiterhin meine Nachbarin bleiben, und es war einfach sinnlos, so zu tun,als würden wir nicht hin und wieder zusammen im Bett landen.
Schon als ich die Botley Road entlangradelte, war ich in Tränen aufgelöst und musste immer wieder anhalten, um mir die Augen zu wischen. Nachdem ich James’ Haus erreicht hatte und vom Rad gestiegen war, stand ich lange einfach nur da. Ich versuchte verzweifelt, mich zusammenzureißen und mir zu überlegen, wie ich mein Anliegen am besten vorbringen konnte. Schließlich ging ich zur Tür, die auch gleich von Violet geöffnet wurde. Nachdem sie einen Blick auf mein verheultes Gesicht geworfen hatte, nahm sie mich
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