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Norderney-Bunker

Norderney-Bunker

Titel: Norderney-Bunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Reuter
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ein paar Minuten, der braucht noch ein paar Tage, bis er wieder fit ist.“
    Oberkommissar Gent Visser betrat das Krankenzimmer sehr zögerlich. Fast hätte man meinen können, er trage eine Bleiweste oder jemand hielte ihn an den Hosenträgern fest. Aber das war in Krankenhäusern immer so. Irgendetwas nötigte ihm gehörigen Respekt ab. Ob es der eigentümliche Geruch war, der sein Atmen nahezu blockierte, die Armada der Weißkittel, vor der er sich aus irgendwelchen Gründen automatisch verbeugte, oder ob er schlicht und ergreifend Angst hatte vor einem Anblick, der Übelkeit in ihm hervorrufen konnte, war schwer zu sagen. Wie gut, dass auf Norderney Vernehmungen hinter Krankenhausmauern selten bis gar nicht vorkamen. Jedenfalls trat Visser auch diesmal voller Ehrfurcht ein, vorbei an der halb geöffneten Tür, die zur Toilette führte. Die zimmerbreite Fensterfront am Ende des Raums, in dem nur ein Bett stand und der wohl auch deshalb den Eindruck einer kleinen, in die Jahre gekommenen Wartehalle besaß, gefiel ihm. Von dort aus hatte man nämlich einen formidablen Blick Richtung Insel-Osten und übers Wattenmeer. Die Sonnenaufgänge mussten von hier aus traumhaft zu beobachten sein, überlegte der Polizist, der mit seinen Einszweiundneunzig wie ein Hüne dastand und – wäre er noch einen Schritt weiter gegangen – einen nicht unerheblichen Schatten geworfen hätte. Dann ratschte er den Reißverschluss seiner Lederjacke mit einem Zug nach unten und hielt sich den Bauch. Seitdem er nicht mehr rauchte, hatte er innerhalb von gut vier Monaten fünf Kilogramm zugelegt. „Verdammt, das geht so nicht weiter“, dachte Visser und schwenkte dann rasch scharf nach links auf Winnetous Bett zu. Der Patient lächelte ein wenig gequält zurück, als Visser auf ihn zutrat, ihm die Hand reichte und sich für einen freundlichen Gesichtsausdruck gewaltig zusammenriss.
    „Mein Name ist Visser. Gent Visser. Ich leite hier auf der Insel sowohl die Polizeidienststelle als auch die Untersuchungen in Ihrem Fall.“
    „May. Paul-Karl May“, gab Winnetou zurück, ohne mit der Wimper zu zucken.
    „Ich hoffe, es geht Ihnen einigermaßen“, sagte Visser dann, strich sich mit der rechten Hand durchs die drei Millimeter kurzen grau-schwarzen Barthaare, dass es nur so zischte. Dann griff er nach einem an der kahlen Wand stehenden Holzstuhl, der aus den Siebzigerjahren übrig geblieben zu sein schien und nahm darauf Platz.
    „Woran können Sie sich erinnern?“
    Winnetou zuckte mit den Schultern.
    „Haben Sie den Täter gesehen? Haben Sie irgendetwas gehört? Was haben Sie kurz zuvor gemacht? Wo kamen Sie her?“
    „Es war so ein wunderschöner Abend“, begann Winnetou. „Nach dem Essen im Hotel bin ich hoch aufs Zimmer, habe den feinen Anzug ausgezogen und bin in bequeme Klamotten gestiegen. Dann habe ich mir die Gitarre geschnappt. Ich wollte irgendwo in die Dünen; singen und spielen. Ganz allein.“
    Winnetou griff nach seinem Wasserglas auf dem Nachttisch. Visser kam ihm zuvor und reichte es ihm an. Nachdem er getrunken hatte, fragte der Polizist: „Und dann? Wie ging es weiter?“
    „Ich bin dann raus, habe mich vor das Inselhotel gestellt und mir dort erst mal eine Zigarette gedreht. Dann bin ich losgegangen. Ich wusste nicht genau, in welche Richtung ich laufen sollte. Da bin ich einfach drauflos. Als ich dann irgendwann die Marienhöhe sah, hatte ich wieder Orientierung und wusste, dass ich bald am Strand sein würde. Und dann nur noch weiter Richtung Osten, hatte ich gedacht. Da würde ich garantiert einen schönen Platz finden.“
    „Und dann?“
    Winnetou schwieg nun. Er schien nachzudenken. Sehr angestrengt. Als Visser merkte, dass seinem Gesprächspartner Tränen in die Augen stiegen, fasste er ihn vorsichtig an der Schulter und fragte: „Haben Sie Schmerzen?“
    „Ja, aber nur ein wenig.“
    „Dann erzählen Sie mir bitte noch eben den Rest. Dann lasse ich Sie auch wieder in Ruhe. Denn Ihnen muss ja auch daran gelegen sein, dass wir denjenigen, der Sie so zugerichtet hat, finden.“
    Winnetou richtete sich auf. Sein Oberkörper wirkte ein wenig bullig. Die schwarzen Haare fielen über die Schulter, die von einem weißen T-Shirt bedeckt war. Der Verband um seinen Kopf, der das Stirnband heute überflüssig machte, saß so fest, dass der Stoff nach dem Abnehmen mit Sicherheit rote Abdrücke auf der Stirn hinterlassen würde. Die Kinnpartie glänzte. Die hatte eine Schwester mit irgendeiner Creme kurz zuvor

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