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Nordseefluch: Kriminalroman

Nordseefluch: Kriminalroman

Titel: Nordseefluch: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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schritt näher und blickte in das Gesicht des Toten, das Kriminalassistent Ekinger mit seiner Taschenlampe zusätzlich anstrahlte. Fröstelnd bemerkte ich die starr aufgerissenen Augen in einem jungen Männergesicht. Es trug die Farbe des Dünensands. Und wie der Strandhafer den Sand bedeckte, so lag ein leichter Haarflaum oberhalb der blassen Lippen des erstarrten offenen Mundes. Mich wunderte es, dass mich die Abscheu nicht gleichermaßen erfasste wie bei der jungen toten Marion. War ich schon abgebrüht?
    Ich schritt noch näher an die Leiche heran. Der Doktor drückte sein Stethoskop auf den leblosen Körper und horchte vergeblich. Er hob den Kopf des Opfers an. Erst jetzt sah ich den schweren Mann, der in Jeans und Troyer oberhalb des Toten fest im Sand stand und seine Prinz-Heinrich-Mütze nervös durch seine schwitzenden Hände gleiten ließ.
    »Es ist Norbert Batinga, mein Kutscher«, sagte der Mann. »Ich habe ihn vor zehn Wochen eingestellt. Er kommt aus Kolking, liebte Pferde. Nur die Zeugnisse waren nicht sonderlich. Ein Abstieg vom Gymnasium bis zum verpatzten Hauptschulabschluss. Aber mein Sohn musste zum Bund. Ich nahm ihn.«
    Immer mehr Neugierige sammelten sich an.
    Blitzartig fiel mir ein, dass ich das Mordopfer kannte. Ich hatte den Mann gesehen. Er war es, der auf dem Bock gesessen und die Kutsche über die leere Marktstraße gelenkt hatte, die mich an die Bilder aus einem Draculafilm erinnert hatte, als ich verzweifelt den Fund der toten Marion bekannt geben wollte.
    Ich hörte, wie der Arzt sagte: »Tod durch Erwürgen. Kampfspuren, Sandanhäufungen unter der Kleidung. Der junge Mann liegt noch nicht lange hier. Er wurde, grob geschätzt, vor drei bis vier Stunden ermordet.«
    »Er hatte Flugplatzdienst«, sagte der Unternehmer, »da müssen wir großzügig sein, denn wir werden nicht wie im Taxidienst über Funk gerufen, wenn Maschinen landen und abfliegen. Oft lassen sich auch Liebespaare in die Dünen fahren, ohne Rücktransport, versteht sich.«
    Kriminalassistent Ekinger nahm sich der Leiche an. Er holte aus der Jacke des Toten ein Portemonnaie, schaute kurz den Inhalt durch.
    »Nur Münzgeld, keine Scheine«, sagte er.
    »Vielleicht ein Raubmord«, sagte Pietsch, der kleine Plastiktüten bereithielt, in denen alles verschwand.
    »Er hat kurz vor seinem Tod mit mir abgerechnet. Norbert Batinga hatte eigentlich frei. Er sprang für einen erkrankten Kollegen ein«, sagte der Unternehmer.
    Mein Vetter war mir nicht gefolgt. Ich suchte ihn in der Menge, die den Tatort umgab, und fand ihn in der Nähe des Kutschpferdes, das er für seine Geduld tätschelte.
    Wir nahmen den Weg zurück und wussten, dass das Strandschlösschen sich den Ereignissen anpassen würde, um den geschockten und besorgten Gästen die Gelegenheit zu einem Schlummertrunk zu bieten.
    Hannes stöhnte: »Der Tag kommt mir vor wie eine Woche!«
    Und so war es auch. Die Ereignisse hatten sich überschlagen, und ich versuchte die Erlebnisse der Zeit zuzuordnen, was mir nicht gelang.
    Ein Flugzeug, eines dieser kleinen Hopser, machte Lärm und steuerte im Tiefflug die beleuchtete Landebahn des Flugplatzes an. Wir schritten schweigend drauflos.
    Das Strandschlösschen hielt die Türen offen. Großzügig, als gäbe es keine Nacht, warf es wohltuendes Licht auf die gefliesten Wege.
    Der Geschäftsführer stand wartend vor der Tür.
    »Ich kenne die Insulaner«, sagte er. »Sie würden mir die Scheiben einwerfen, wenn ich ihnen den Corvit vorenthalten würde. Es wird bei uns noch hoch hergehen. Übrigens, die Eltern der toten Marion haben mit ihrem Charterboot unsere Insel verlassen.«
    Das Letztere klang wie eine Entschuldigung. Ich konnte Hannes verstehen, der grinste, denn er war selbst ein millionenschwerer Geschäftsmann.
    Hannes und ich bildeten die Vorhut. Auf dem Tresen der Bar stand noch unser schales Bier. Wir bestellten frische Biere, hatten uns eigentlich nur noch wenig zu sagen, waren müde, aber scheuten das Bett.
    Das Restaurant füllte sich. In die Bar kamen keine Insulaner. Sie suchten sich selbst und keine Fremden.
    Wir tranken das süffige Bier.
    Als ich von der Toilette kam, irritierte mich der Lärm, der aus dem vollen Restaurant schwoll.
    Kommissar Pietsch stand mitten im Raum. Sein extravaganter Schnurrbart verlieh ihm ein exotisches Aussehen. Er erweckte den Eindruck, dass er nicht nur ein harter Kripobeamter war, sondern mit Herz und Verstand umzugehen wusste. Sein bulliger Assistent stand wie ein Preisboxer

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