Nordseefluch: Kriminalroman
zuwider. Sie sehnte sich nach der Überfahrt und wollte Juist möglichst schnell verlassen.
Im Strandschlösschen saß mein Vetter mit Evi an dem Tisch, an dem wir gefrühstückt und seine Verlobung gefeiert hatten. Sie hielten verliebt ihre Hände und schauten verloren durch das Fenster auf den Strand.
Es musste schon aufregend sein, in seinen Jahren die Schönheit einer jungen Frau zu genießen, dachte ich ohne Neid, als wir uns zu ihnen setzten.
Hannes strahlte uns an. Sein rundes Gesicht, aus dem die Augen, umgeben von kleinen Fettpölsterchen, freundlich blickten, drückte eine verschmitzte Hinterlist aus. Er legte seine zu Fäusten geballten Hände auf den Tisch, blickte meine Söhne an und sagte: »Jungs, Onkel Hannes und Tante Evi hatten für euch keine Zeit. Der Jüngste darf wählen. Links oder rechts?«
Mein kleiner Sohn zeigte auf die linke Hand. Hannes öffnete sie. Ich schaute auf den Hunderteuroschein, den Hannes ihm hinhielt. Auch seine rechte Hand öffnete er und schob einen zweiten Hunderter meinem älteren Sohn entgegen.
Evi sah reizend aus. Das saloppe T-Shirt, Boutique-Herkunft, enge weiße Jeans und erstes Sonnenbraun. Sie küsste Hannes froh auf die Lachfalten, als wäre sie selbst beschenkt worden. Sie rief nach der Bedienung.
»Essen wir heute nach der Karte«, sagte Hannes.
Mein Vetter hasste falsche Bescheidenheit. Allerdings war das Angebot so reichhaltig, dass mir und meiner Frau nur ein Bruchteil der Gerichte bekannt waren. Wir bestellten frische Kutterseezungen mit Kräuterbutter, holländischer Soße und Petersilienkartoffeln. Meine Kinder fanden unter der Überschrift »Tomatelli Teller« Spaghetti mit roter Soße, gewürfeltem Landschinken und Käseflöckchen nach Seestern-Art, ein hervorragendes Essen, von dem sie später noch schwärmten.
»Schade, dass auf Juist die Mörder plötzlich Konjunktur haben«, sagte mein Vetter in seinem rheinischen Tonfall. Er bestellte Kaffee und für meine Söhne Eis.
Ich sah die Kriminalbeamten das Restaurant betreten und sich nach einem freien Tisch umblicken.
Als beginne der Fund meines Sohnes in der Tasche zu glühen, griff ich nach dem Haarclip. Ich stand auf und ging zu den Beamten.
»Herr Färber«, sagte Pietsch und ich sah, dass der Dienst ihnen keine Pause gegönnt hatte.
Kriminalassistent Ekinger zog schnuppernd die Nase kraus.
»Ein Duft«, sagte er grinsend, »ich habe Hunger und könnte ein halbes Schwein verschlingen!«
»Herr Kommissar, ich möchte mich verabschieden«, sagte ich zum Kommissar. »Wir verlassen die Insel. Aber schauen Sie her. Mein Sohn fand diese Haarspange in der Nähe der Mordstelle am Dünenhang.«
Pietsch neigte sich vor. Ich sah, wie sein gewaltiger Schnurrbart seinen Mundbewegungen folgte.
»Das ist seltsam«, sagte er.
Der Kommissar nahm den Clip aus meiner Hand, griff mit der anderen Hand in seine Tasche und hielt mir das Gegenstück entgegen.
»Die gleichen sich wie ein Ei dem anderen«, stellte er fest.
»Und das bedeutet?«, fragte ich aufgeregt.
»Noch nichts. Oder doch? Aber falls die Dinger zusammengehören und einen goldblonden Pferdeschwanz gebändigt haben, was noch zu untersuchen ist, dann sind Sie erneut unser Pfadfinder, Herr Färber.«
»Na ja, mein Sohn fand den Clip«, sagte ich.
»Sie hören von uns, Herr Färber«, sagte Pietsch.
Auch Vetter Hannes und Evi hatten sich erhoben.
»Auf meine Rechnung«, ordnete Hannes an, als die Bedienung an den Tisch kam.
Wir verließen das Restaurant und holten unser Gepäck. Hannes und Evi begleiteten uns zum Anleger.
Lange winkten sie uns zu, als die »Frisia X« ablegte.
6
Hannes und Evi hatten uns erneut zum Wochenende nach Juist eingeladen. Aber mein Stundenplan und die Ablegezeiten der Fähren, bedingt durch den Tidekalender, machten einen Besuch unmöglich. Ich versprach Hannes am Telefon, dass wir ihn in Grevenbroich während der Sommerferien besuchen würden.
Für mich lief der Dienst an meiner Schule in Norden auf vollen Touren. Konferenzen nahmen viel Zeit in Anspruch. Außerdem mussten wir bis zum Schuljahresende die vorgeschriebenen Klassenarbeiten unter Dach und Fach haben.
Im Anschluss an einer Nachmittagssitzung parkte ich meinen Golf vor der Post und traf dort Kommissar Pietsch.
Er wirkte sportlich in Jeans und saloppem Sommerhemd. Sein Gesicht zeigte die gesunde Inselbräune. Wie immer, wenn er nachdachte, zwirbelte er mit Daumen und Zeigefinger seinen gewaltigen Schnurrbart.
»Moin, Herr Kommissar. Gibt es
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