Nordseefluch: Kriminalroman
Kommissar nickte. »Ich sehe das nicht anders, Herr Färber.«
»Können vielleicht schulische oder berufliche Gründe infrage kommen?«, fragte Heiko Ekinger. »Hatte er etwas mit Mädchen? Sie sind im Personalrat und Ihre Antwort erspart uns Zeit, denn sonst müssten wir uns an die Bezirksregierung wenden.«
Ich verneinte und fand seine Frage unverschämt in Anbetracht des korrekt verlaufenen, aufopferungsreichen Schuldienstes meines toten Kollegen.
Meine Frau kam vom Sport zurück. Sie betrat das Wohnzimmer und begrüßte die Beamten.
»Ich bin geschafft«, sagte sie und zog sich gleich zurück.
»Wir suchten Sie auf, weil Sie für uns ein Bindeglied in den Mordfällen sind, Herr Färber«, sagte Pietsch.
»Ich nehme ja nicht an, dass Sie mir hinterher die Rolle des Supermörders andrehen wollen«, lachte ich.
Ekinger grinste: »Herr Färber, Manfred Kuhnert erwürgte das Mädchen in den Dünen nahe des Flugplatzweges. Das halte ich für eine Tatsache. Ihm gelang es nicht, die kleine Marion zu missbrauchen, da er in seiner abscheulichen Absicht gestört wurde. Auch das ist eine Tatsache. Stellen wir die Frage nach der Person, die ihn gestört haben kann, dann könnte der Kutscher, der den Flugplatzdienst versah, es gewesen sein.«
Der Kommissar rauchte, blies den Rauch aus und starrte in die Glut des Kamins.
»Starten wir einen neuen Anlauf«, sagte er. »Wir fügen Habbo Stinga in das Geschehen ein. Der leibliche Vater der Kleinen, der, mal angenommen, unter Schuldkomplexen litt, weil er seine Tochter quasi verschenkt hatte, aber nur für sie lebte, sparte und ein Vermögen ansammelte, befand sich auf der Insel. Er weiß, dass sein Mädchen auf Juist mit seiner Familie ein sonniges Wochenende verlebt. Er sieht sie! Später erfährt er von den dramatischen Ereignissen. Aber warum brachte er sich nicht sofort um?«
Er schob mit Daumen und Zeigefinger die Haare des Schnurrbarts über die Lippen und sah mich forsch an.
»Das macht mich auch stutzig, Herr Pietsch«, antwortete ich. »Stinga versah weiterhin korrekt seinen Dienst an der Schule. Er trug keinerlei äußerliche Spuren einer Trauer.«
»Vielleicht befiel ihn eine Depression, nachdem seine innere Kraft ihn verlassen hatte«, sagte Ekinger.
Der Kommissar nickte: »Sowohl der Kutscher als auch Stinga gehören in den Fall Marion, und die Kutsche spielt eine besonders wichtige Rolle. Vielleicht hat auch der kleine Urlauber mit dem Pepitahütchen nicht alles ausgesagt, aus Angst vor seiner keifenden Frau. Und was für mich wichtig ist, der leibliche Vater, Ihr Kollege Habbo Stinga, war nicht zufällig auf der Insel. Der Tod seiner Tochter hat irgendwie mit seinem Selbstmord zu tun.«
Für eine Zeit stellten wir uns weitere Fragen, die wir theoretisch zu beantworten versuchten, ohne dem steten Kreis zu entkommen.
Als die Beamten mich danach verließen, war ich ratlos.
Mein ehemaliger Schüler Manfred Kuhnert hatte ein kleines Mädchen umgebracht, das zufällig die Tochter meines geachteten Kollegen war, der daraufhin Selbstmord beging.
Ich saß noch lange vor dem ausglimmenden Kaminfeuer und dachte ergebnislos nach. Es war bereits sehr spät, als ich zu Bett ging.
8
Als ich aufwachte und mich anzog, schlief meine Familie noch. Meine Söhne hatten später Schule. Ich frühstückte alleine und war froh, dass meine Frau keine Fragen stellen konnte.
Ich ging gedanklich noch einmal die von mir getroffene Stoffauswahl für den Unterricht durch, bemüht, mich nicht erneut wie ein Detektiv mit den Problemen der Kriminalbeamten zu belasten. Nach dem Frühstück stieg ich in meinen Wagen und fuhr zur Schule. Wie immer stellte ich meinen Golf auf dem Parkplatz ab und betrat sehr früh die Eingangshalle, bevor sich die Schüler und Kollegen einfanden.
Ich blickte verwundert auf den kleinen Direktorstellvertreter, der mit seiner Hand nervös durch sein graues Haar strich. Er stand in seiner typischen vorgebeugten Haltung an der Pendeltür, die zur Schulleitung führte, und ließ mit der anderen Hand seine Brille kreisen.
»Herr Färber!«, rief er, als ich dem Lehrerzimmer entgegenschritt.
»Ja?«, sagte ich.
»Der Oberschulrat hat angerufen«, sagte er. »Ihr Unterricht fällt heute aus. Sie möchten stattdessen zur Staatsanwaltschaft fahren. Die Reisekosten werden erstattet. Ein Herr Buschmann erwartet Sie.«
»Wegen Manfred Kuhnert?«, fragte ich.
»Ich war nur Befehlsempfänger und muss für Vertretung sorgen, Färber«, antwortete er und
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