Nordseefluch: Kriminalroman
Lachmuskeln Ihres Vetters so sehr angeregt hat, zu befragen, brachte nichts. Er sagte aus, dass er rein zufällig wegen der frischen Luft und um seiner nörgelnden Frau für wenige Stunden zu entkommen durch die Dünen gewandert sei. Ich muss hinzufügen, dass seine Frau dagegen zu Protokoll gegeben hat, ihr Mann habe Liebespaare beobachten wollen, da er sich noch nicht mit seinem Alter hatte abfinden wollen.«
Ich musste lachen. »Er wirkte auch auf mich recht komisch«, sagte ich.
»Es war einmal ein kleiner Mann …«, scherzte Ekinger und goss Bier in sein Glas.
»Kommen wir zurück zu Ihrem Kollegen«, sagte der Kommissar. »Waren Sie eng mit ihm befreundet?«
»Nein, aber wir waren sehr vertraut miteinander«, sagte ich und beschrieb meinen Kollegen aus meiner Sicht, ohne etwas an ihm zu beschönigen oder zu vertuschen.
»Sein Freitod hat uns auf den Plan gerufen«, sagte Heiko Ekinger. »Unsere Recherchen und Ihre Schilderung seines Charakters liegen auf einer Linie. Ihr Kollege hinterließ keinen Abschiedsbrief, sondern tauchte aus seinem erfüllten Dasein einfach ab ins Jenseits. Was uns dabei zu denken gibt, bei den mageren Untersuchungsergebnissen, das ist eine Rückfahrkarte zur Insel Juist. Habbo Stinga war auf der Insel, als die Morde geschahen. Er fuhr am nächsten Tag zurück.«
Ich blickte die Beamten irritiert an. Wo lag da der Zusammenhang? Mein verstorbener Kollege konnte zur Insel fahren, wann immer ihm danach war.
»Na und?«, fragte ich deshalb überrascht.
Der Kommissar räusperte sich.
»Sie werden gleich anders denken, Herr Färber. Ihr Kollege Stinga hat buchstäblich das vollgetakelte Schiff verlassen. Im Kühlschrank befanden sich frischer Käse, Eier und Butter. Das Vollkornbrot zeigte keine Trockenkanten. Im Gefrierschrank staute sich der Vorrat für ein Jahr. Die Schafe waren bestens versorgt. In unserer Ratlosigkeit stießen wir über das Katasteramt auf einen Notar, der nachweisen konnte, dass die Kate schuldenfrei, also die Grundschuld gelöscht war. Ihr Kollege Habbo Stinga hatte zusätzlich mehrere Hektar Weideland angekauft. Ein Vermögen!« Der Kommissar langte nach einer Zigarette.
Sicherlich kamen seine Aussagen einer Sensation gleich.
»Nicht jeder Selbstmörder verzehrt zuerst seine Vorräte, verschwendet seinen Reichtum, um sich dann von allem zu entfernen«, sagte ich und legte neue Scheite aufs Feuer.
Aus der Viertelstunde war bereits eine volle Stunde geworden. Der Kommissar trank einen Schluck Bier und fuhr fort: »Zu unserer weiteren Überraschung hat Habbo Stinga ein Testament hinterlegt, das älteren Ursprungs ist. Der eingeschaltete Staatsanwalt erwirkte die Eröffnung.«
Pietsch rauchte, trank sein Glas leer und auch Heiko Ekinger stellte das leere Glas ab.
Ich stand auf und holte aus der Vorratskammer Nachschub. Das gleiche Spiel, dachte ich. Sie füttern mich mit Information und erwarten etwas von mir, das ich nicht bringen kann.
Bis jetzt hatte ich noch keinen Durchblick. Natürlich überraschte mich der Wohlstand meines Kollegen, der stets in abgetragener Kleidung zum Dienst erschienen war. Aber das war schließlich seine Angelegenheit.
Ich stellte volle Flaschen auf den Tisch. Der Kommissar saß vor seinen Unterlagen, und als spielten wir Skat und er ziehe eine Trumpfkarte, sagte er: »Aus dem Testament geht hervor, dass seine Tochter die Universalerbin ist. Sie trägt nicht seinen Namen, da sie unehelich zur Welt kam.«
Ich schaute überrascht auf. »Tochter?«, fragte ich verblüfft. Im Kamin schlugen die Flamen aus den trockenen Scheiten. »War Marion etwa seine Tochter?«
»So ist es«, antwortete der Kommissar.
Nun war der Bogen der Zufälle weit gespannt.
Ich verpaffte eine Zigarette, ohne zu spüren, dass ich rauchte, und dachte nach.
»Eine zusätzliche Person besteigt das Karussell«, sagte Heiko Ekinger in die Stille.
»Habbo Stinga«, antwortete ich und musste umdenken. Der friedliche, große, schweigsame Kollege, der seinen Dienst korrekt und unauffällig versehen hatte, rückte ein in das Mordgeschehen auf Juist.
»Ein zufälliger Ausflug?«, fragte ich nur so.
»Glauben Sie? Ich würde Ihnen zustimmen. Aber warum sein verspäteter Selbstmord?«, fragte der Kommissar.
»Herr Pietsch, sollte an dem was dran sein, dann gibt es für mich nur eine Version. Als der Kollege erfuhr, dass seine Tochter ermordet worden war, fehlte dem Mann der Lebenssinn«, sagte ich. »Nur so wird sein Selbstmord für mich verständlich.«
Der
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