Nordseefluch: Kriminalroman
umquartieren. Sie waren sich fremd, doch hier erschienen sie wie Brüder. Der eine hatte ein Hotelzimmer gebucht, während sich der andere, vom Dauerregen getrieben, in der Gaststube des besagten Hotels niedergelassen hatte, um sich beim Bier über das schlechte Wetter hinwegzutrösten. Er wurde zum Zeugen einer netten Begebenheit. Der Hotelgast erscheint am Tisch der Wirtin, die mit Freunden Skat spielte. Die gekühlte Corvitflasche machte die Runde. Der Gast beschwert sich, dass es in seinem Zimmer auf sein Bett regnet. Die Wirtin erhebt sich und folgt dem protestierenden Gast zum gebuchten Zimmer. Etwas später kommt sie wieder zurück, setzt sich zu ihren zechenden Bekannten und sagt: ›Ich weiß gar nicht, was der Kerl hat. Der Regen tropft auf seinen Teppich und nicht auf sein Bett.‹«
Der Abteilungsleiter lachte und sah uns an.
»Herr Weber, sicherlich gibt es unter den Feriengästen seltene Käuze. Wir haben hier ein Foto. Kennen Sie diese Schönheit?«, fragte der Kommissar.
Weber nickte. »Nicht nur ich. Sie fällt aus dem Rahmen der üblichen Feriengäste.« Er reichte dem Kommissar das Foto zurück. »Es handelt sich um Isa von Schwertstein, Herr Kommissar«, sagte er. »Die adelige Dame hat sich, wie so viele betuchte Herrschaften, in Juist verliebt. Sie besitzt auf unserer Insel ein Haus mit einigen Wohnungen, die sie aber nicht über uns vermietet.«
Wir sahen uns überrascht an.
»Es wäre also möglich, die Dame kennenzulernen?«, fragte der Kommissar.
»Während der Saison verlässt die Gnädige nur gelegentlich für Einkäufe unsere Insel«, antwortete Weber. »Ich sah sie gestern noch. Sie surfte am Ende des Oststrandes.«
»Geben Sie uns bitte ihre Adresse«, sagte Pietsch.
Der Abteilungsleiter nahm einen Zettel.
»Urbanseck 13«, schrieb er auf.
»Danke«, sagte der Kommissar.
Wir verließen das Kuramt.
Ekinger kannte den Weg.
Der Kommissar schwieg. Wir schritten über die Strandstraße zur Gräfin-Theda-Straße. Während Pferdedroschken uns in beide Richtungen passierten, fragte ich mich, was den Kutscher mit der Schönen von Schwertstein verbinden konnte.
Auch Ekinger stand die Neugierde im Gesicht, als er auf ein neues Appartementhaus wies. Die oberen Wohnungen hatten außer breiten Glasfenstern großzügige Balkone.
Für Sekunden standen wir unentschlossen auf dem Bürgersteig. Eltern mit quengelnden Kindern schritten an uns vorbei. Pietsch strich mit Daumen und Zeigefinger seinen Schnurrbart glatt. Ein Zeichen seiner Nervosität.
»Hoffen wir, dass die gnädige Frau zu Hause ist«, sagte er.
Ein mit Klinkern belegter Weg führte an einem mit Muschelkalk bewachsenen Stockanker vorbei zur Haustür. Nur das obere Namensschild trug den uns nun bekannten Namen, während auf den übrigen drei das Wort »Combifix« der Herstellerfirma stand.
Der Kommissar drückte den Klingelknopf.
»Wer ist da?«, drang eine weiche Stimme zu uns aus der Sprechanlage.
»Frau von Schwertstein, Kripo aus Norden«, sprach Pietsch gegen das Blech in der Klinkerwand.
Der Summton drang aus der Anlage. Die Tür ließ sich öffnen. Wir betraten das Treppenhaus.
Isa von Schwertstein stand in Jeans und Troyer am Treppengeländer.
»Meine Herren, kommen Sie hoch. Ich habe Sie erwartet.«
Die Stimme klang mädchenhaft und geziert. Hatte die Kurverwaltung unseren Besuch bereits angekündigt?, fragte ich mich.
Sie schaute belustigt auf uns herab.
»Im Treppensteigen sind die Ostfriesen ihren Gästen unterlegen«, rief sie ironisch.
Als wir sie erreichten, wies sie uns den Weg in ihre Wohnung, als seien wir alte Bekannte. Ich schaute durch die Fenster auf das Meer. Am Horizont war der Himmel weiß. Frau von Schwertstein schob sich in unser Blickfeld.
»Nehmen Sie Platz«, sagte sie und zeigte auf die Sitzgruppe.
Ich blickte auf ihre Schenkel, die den Jeansstoff fast zu sprengen schienen. Ihre Schultern waren für eine Frau extrem breit. Sie trug das blond gebleichte Haar sehr kurz geschnitten. Tiefe Seebräune verbarg ihre Sommersprossen. Sie musterte uns spöttisch.
»Was darf ich Ihnen anbieten?«, fragte sie und rieb ihre Hände aneinander, wobei Ringe und Goldreifen unsere Blicke anzogen.
Pietsch winkte ab. »Sie haben uns erwartet, Frau von Schwertstein?«, fragte er.
Sie setzte sich zu uns auf die freie Couch.
»Nicht erst heute, sondern bereits früher, Herr Kommissar«, antwortete sie zu unserer Verblüffung. Sie sprach mädchenhaft und benahm sich naiv.
Wir schauten sie überrascht
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