Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
und Henrik Kjellander aus Kalbjerga. Sie sind bedroht worden.«
4
Göran Eide räumte eine Kaffeetasse weg, die jemand im Regal hinterm Schreibtisch vergessen hatte. Ihm war etwas übel. Das lag an der Prinzesstorte. Er hätte sich an Sara orientieren und nur ein halbes Stück essen sollen. Aber man will sich schließlich nicht wie ein Frauenzimmer benehmen, dachte er, also muss man tapfer durchhalten, obwohl man sich am liebsten übergeben würde.
Trotz der Übelkeit freute er sich über diesen Tag. Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass Fredrik zurückkommen würde. Weder als Polizist noch sonst irgendwie. Es war ein grauenhafter Unfall gewesen. Fredrik hatte schlimm ausgesehen, als er so verbunden und scheinbar gelähmt dalag.
Fredrik selbst hatte nicht viele Erinnerungen an den Unglücksfall, aber Sara Oskarsson hatte nur zehn Meter entfernt gestanden und ihn von der Klippe stürzen sehen. Wenn man ihren Bericht las, kam man zu dem Schluss, dass der Unfall teilweise selbst verschuldet war. Fredrik hätte den Mann, den sie festgenommen hatten, nicht verfolgen müssen, als er versuchte zu fliehen. Falls Flucht überhaupt die richtige Beschreibung dafür war, dass jemand in den eigenen Tod rannte. Niemand hätte Fredrik einen Vorwurf gemacht, wenn er stehen geblieben wäre und zugesehen hätte, wie der Mann sich in den Abgrund fallen ließ. Doch Fredrik rannte hinter ihm her, holte ihn an der Kliffkante ein und versuchte ihn aufzuhalten. Der Fliehende hatte Fredrik, absichtlich oder unabsichtlich, mit sich in die Tiefe gerissen. Ob es dann Glück gewesen war oder ob es Fredrik gelungen war, den Mann in der einzigen Sekunde, die ihm blieb, unter sich zu zwingen, ließ sich unmöglich sagen. Jedenfalls war Fredrik auf dem Mann gelandet, der sofort tot war.
Fredrik hatte der Sturz von der Klippe eine kräftige Gehirnerschütterung und eine starke Blutung außerhalb der harten Hirnhaut eingebracht. Das Gehirn selbst war durch den Sturz nicht zu Schaden gekommen, hatte aber unter dem Druck gelitten, der durch die Blutung entstanden war. Wäre die Blutung unter der Hirnhaut entstanden, hätte er womöglich nicht einmal den Transport von Östergarnsholme ins Krankenhaus überlebt.
Göran unterdrückte ein Rülpsen und verfluchte erneut die Prinzesstorte. Widerliche Erfindung. Hätte Gustav nicht so schlau sein können, Butterkuchen oder gewöhnliche Plunderteilchen zu besorgen? Ihm war fast schwindlig vor Übelkeit. Er zog die oberste Schublade seines Aktenschränkchens heraus und wühlte ganz hinten in den Büroklammern, Visitenkarten und Stiften. Schließlich fand er eine staubige Packung Talcid, drückte die vorletzte Tablette heraus und zerkaute sie.
5
Der Wind wehte stoßweise durch das geöffnete Fenster herein und roch nach Meerwasser und Diesel. Malin saß an Deck der Bodilla im Auto, die Kinder waren auf der Rückbank angeschnallt. Im Norden erstreckten sich Hau rävlar und Lansaholm, zwischen denen das Meer im Gatt nur hin und wieder hindurchblitzte. Im Süden dagegen hatte man einen weiten Blick auf die Ostsee. Immer wenn der Wind zunahm, wurde die glitzernde Wasseroberfläche von stumpferen und dunkleren Flächen überspült.
Malin hatte sich besorgt gefragt, ob sie mit dem verletzten Fuß überhaupt fahren könnte, aber das war kein Problem gewesen. Beim Gehen tat es mehr weh, obwohl sie rechts nur mit den Zehen aufsetzte.
»Kann ich heute mit Lisa spielen, Mama?«, fragte Ellen.
Malin drehte sich um und lächelte zwischen den Kopfstützen hindurch. Axel drückte die Nase an die Scheibe und betrachtete gebannt eine große Möwe mit gelbem Schnabel, die hinter der Fähre hersegelte.
»Wir werden sehen, ich muss erst ihre Mutter anrufen.«
Ellen zerrte jubelnd an ihrem Gurt.
»Es ist noch nicht sicher, Ellen. Ich habe doch gesagt, wir werden sehen.«
Freunde in Fårösund zu haben war kompliziert, wenn man auf Fårö wohnte. Wenn Ellen nach der Schule mit zu jemandem nach Hause gehen wollte, musste das irgendwie mit Axels Terminen übereinstimmen, denn sonst verbrachte Malin einen Großteil des Tages im Auto und fuhr nur zwischen Fårösund und Kalbjerga hin und her.
Als sie nach Fårö zogen, wurde die kommunale Kita gerade geschlossen und die Elterninitiative, die einen Kindergarten gründen wollte, existierte nur auf dem Papier. Da hatten sie sich stattdessen für Fårösund entschieden. In erster Linie, weil Henrik in keine Elterninitiative mit Elisabet und Alma eintreten
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