Northanger Abbey
innerhalb der Klostermauern wiederzufinden und in solch flottem Tempo eine glatte, gerade, fein bekieste Auffahrt entlangkutschiert zu werden, ohne Hindernis, Ungemach oder Zeremoniell jedweder Art, erschien ihr sonderbar und unpassend. Lange blieb ihr jedoch für derlei Betrachtungen nicht Zeit. Ein jäher Regenguß, der ihr mitten ins Gesicht prasselte, löschte jede andere Wahrnehmung aus und ließ in ihren Gedanken für nichts Raum als für das Heil ihres neuen Schutenhütchens – und so war sie tatsächlich unter dem Dach der Abtei – sprang mit Henrys Hilfe vom Wagen herab, erreichte den Schutz des alten Säulenvorbaus, ja trat sogar hinein in die Halle, wo schon ihre Freundin und der General auf sie warteten, ohne daß eine einzige Vorahnung künftigen eigenen Leids sie gestreift hätte oder in ihr blitzartige Bilder vergangener Greuelszenen aufgezuckt wären, denen dies ehrwürdige Gemäuer dereinst beigewohnt haben mochte. Der Wind hatte ihr nicht die Seufzerder Ermordeten zugetragen, nur dichtes Regensprühen; und nachdem sie ihre Gewänder einmal kräftig ausgeschüttelt hatte, war sie bereit, weiterzugehen in den Salon und sich darauf zu besinnen, wo sie war.
Eine Abtei! – doch, es war ein wunderbares Gefühl, sich in einer echten Abtei zu wissen! – aber als sie sich in dem Raum umsah, tat sie sich schwer, irgend etwas in ihrem Blickfeld zu finden, das ihr dieses Gefühl bestätigt hätte. Die Möbel wirkten allesamt modern in ihrer Vornehmheit und Opulenz. Der offene Kamin, den sie sich breit und mächtig vorgestellt hatte, verziert mit dem schweren Schnitzwerk alter Zeiten, war zu einem Rumford verschmälert worden, mit einer Fassung aus schlichten, wenngleich schönen Marmorsteinen und Zierat aus feinstem englischem Porzellan auf dem Sims. Die Fenster, von denen sie sich besonders viel versprochen hatte, denn der General hatte erwähnt, sie seien von ihm aufs getreulichste in ihrer alten gotischen Form bewahrt worden, blieben erst recht hinter ihren Erwartungen zurück. Gewiß, der Spitzbogen war erhalten – die Form war gotisch – ja sie schienen sogar unterteilt – aber jede Scheibe war so groß, so klar, so hell! Für eine Phantasie, die sich vielfältigste Verstrebungen erhofft hatte, dickstes Mauerwerk, Buntglas, Schmutz und Spinnweben, war der Gegensatz schwer zu verkraften.
Der General, der sah, in welche Richtung ihr Blick schweifte, betonte eilends, wie klein das Zimmer sei und wie einfach das Mobiliar, alles Dinge des täglichen Gebrauchs, die keinen anderen Anspruch erhöben als den der Bequemlichkeit, et cetera; auch wenn er sich wohl schmeicheln dürfe, daß es selbst hier in der Abtei einige Gemächer gebe, die ihr zu zeigen er sich nicht zu schämen brauche – und wollte sich schon über die kostspielige Vergoldung in einem der Räume auslassen, als er nach einem Blick auf seine Uhr mitten im Satz abbrach, um konsterniert festzustellen, daß es zwanzig vor fünf war! Das schien das Signal zum Aufbruch zu sein, und Catherine wurde von Miss Tilney in einer Hast mit sichfortgezogen, der klar zu entnehmen war, daß die zeitlichen Gepflogenheiten in Northanger Abbey strikt eingehalten sein wollten.
Durch die weitläufige, hohe Eingangshalle ging es zurück, eine breite, blankpolierte Eichentreppe hinauf, die sie nach vielen Kehren und Absätzen zu einer langen und breiten Galerie brachte. Von ihrer einen Seite ging eine Reihe von Türen ab, auf der anderen wurde sie von Fenstern erhellt, durch die Catherine eben nur erkennen konnte, daß sie auf einen Innenhof hinausblickten, ehe Miss Tilney sie in ein Zimmer führte und vor dem Weitereilen gerade noch Zeit fand zu hoffen, daß es ihr gefiele, und ihr dringlich nahezulegen, so wenig an ihrer Toilette zu verändern wie nur möglich.
VI. KAPITEL
Ein kurzer Blick reichte aus, um Catherine davon zu überzeugen, daß ihr Zimmer sehr wenig gemein hatte mit den Schilderungen, mit denen Henry sie zu ängstigen versucht hatte. Es war keineswegs unmäßig groß und enthielt weder Gobelins noch Samt. Die Wände waren tapeziert, der Boden mit Teppich belegt; die Fenster waren weder in schlechterem Zustand noch düsterer als die unten im Salon; die Möbel, obgleich nicht der neuesten Mode entsprechend, wirkten hübsch und bequem und das Zimmer in seiner Gesamtheit alles andere als bedrückend. In dieser Hinsicht rasch jeder Sorge enthoben, beschloß sie, keine Zeit mit der näheren Erkundung ihrer Umgebung zu vertun, denn sie hatte große
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