Nosferas
aber eine Weile dauern, bis es heilt. Was hat Leandro mit dir gemacht?«
»Er hat mich gerettet!«, stieß Luciano bitter hervor. »Euch hat er eurem Schicksal überlassen und mich hat er hierher geschleppt, aber das wird er noch büßen, das schwöre ich dir! Ich werde dem Conte berichten, was für einem Verräter er seine Bibliothek anvertraut hat!«
»Es gibt Schlimmeres, als gerettet zu werden«, sagte Alisa mit einem kurzen Lachen. »Und er ist sicher nicht der Einzige, der nur seine Familie für wertvoll genug erachtet, auf dieser Erde zu weilen.« Sie dachte an Franz Leopold und seine Sippschaft.
»Was soll es Schlimmeres geben, als seine Freunde in höchster Gefahr im Stich zu lassen?«, rief Luciano.
Alisa stemmte sich in ihrem Sarg hoch und griff nach seiner Hand. Er zuckte zurück, doch sie hielt ihn fest. »Sieh mich an!« Zögernd gehorchte er.
»Du hast uns nicht im Stich gelassen! Es war keine freie Entscheidung oder gar feige Flucht. Du wurdest gegen deinen Willen entführt. Nur das zählt! Und dass wir alle mit - nun ja fast - heiler Haut davongekommen sind! Ist das klar? Wir sind Freunde, die sich immer aufeinander verlassen können! So habe ich dich vorher gesehen und so sehe ich dich noch immer.«
Ein zaghaftes Lächeln schlich sich in seine Züge. »Danke, dass du das sagst, aber die Wahrheit ist, ich hatte schreckliche Angst und wäre am liebsten selbst weggelaufen.«
»Na und? Glaubst du etwa, ich hatte keine Angst? Tatsache ist doch, dass du diesem Drängen nicht gefolgt bist - und auch bis zum Schluss bei uns geblieben wärst, wenn Leandro nicht eingegriffen hätte.«
Luciano drückte ihr nur stumm die Hand und ließ sie dann schnell wieder los, als er spürte, dass sich jemand näherte. Fast panisch taumelte er zurück, bis er mit dem Rücken gegen den nächsten Sarg stieß, doch es war nur Ivy, die mit Seymour zurückkehrte.
»Es war nicht einfach, mich Signora Zitas Fürsorge und ihrer noch größeren Neugier zu entziehen.« Ivy ließ sich im Schneidersitz auf dem Deckel ihres reich verzierten Sarkophags nieder. »Nun bleibt uns leider nichts anderes übrig, als auf Franz Leopold zu warten, um das Ende der Geschichte zu erfahren. Soll ich euch derweil etwas vorlesen, um die Zeit zu vertreiben?«
Alisa nickte, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, wie eine Geschichte sie von den Ereignissen dieser Nacht ablenken sollte. Bald jedoch schweifte ihr Geist nicht nur in fremde Welten und Abenteuer, er machte sich gleich weiter auf, in das Reich der Träume zu gleiten. Alisa merkte nicht einmal mehr, wie Luciano und Ivy den Deckel zuschoben.
ABSCHIED
Die Vampire liefen schweigend durch die Nacht. Obwohl die Menschen einen guten Vorsprung hatten, war es leicht, ihrer Spur zu folgen, und der immer deutlicher werdende Geruch von Blut und Schweiß zeigte ihnen, dass sie schnell aufholten.
»Ich weiß, wohin sie gehen. Sie wohnen in der Nähe der Zisterne, in der wir die Verbrannten gefunden haben.« Franz Leopold schloss zu dem Clanführer der Nosferas auf.
Der Conte nickte. »Dort wird keiner mehr von uns vernichtet werden. Dafür ist gesorgt.« Er beschleunigte seinen Schritt, doch Franz Leopold bereitete es keine Mühe, an seiner Seite zu bleiben. Wie Luciano war auch der Anführer der Familie kein guter Läufer. Sie erreichten die Haustür und drangen in die Halle ein. Eine Treppe führte zu den beiden Zimmern hinauf, die die Vampirjäger bewohnten. Respektvoll ließen die Begleiter ihrem Oberhaupt den Vortritt. Er öffnete die Tür und trat ein.
»Sie wollen verreisen?«, fragte er das Mädchen höflich, das ihn mit offenem Mund anstarrte. Angst umhüllte sie wie eine Wolke scharfen Parfüms. Dann trat ein trotziger Zug in ihr Gesicht.
»Ja, wir verlassen Rom. Das hätten wir schon viel früher tun sollen!«
Der Blick des Conte wanderte zu dem Mann auf dem Bett, der im Moment nicht wie der gefährliche Jäger aussah, der mehr als ein halbes Dutzend seiner Clanmitglieder auf dem Gewissen hatte. »Ja, das wäre für alle besser gewesen, auch für Sie beide. Und seiner Gesundheit sehr viel zuträglicher!«
Latona sah von dem kleinen, dicken Vampir, der offensichtlich so etwas wie ein Anführer für sie war, zu seinen Begleitern, von denen einige mit ins Zimmer getreten waren. Sie erkannte den überirdisch schönen, dunkelhaarigen Jungen, der sie zusammen mit dem Wolf angegriffen hatte. Die anderen Männer hatte sie noch nie gesehen. Lauter ernste, fremde Gesichter.
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