Nosferatu 2055
zu begreifen. Weit über ihm verfestigte sich Luft zu einem strahlenden Spiegel, und in den Schacht fiel das reflektierte Licht eines Sommersonnenaufgangs.
Luther schrie auf und taumelte aus dem Lichtstrahl heraus. Aus Ohren, Augen und Nase quoll Blut. Aus dem Kessel des Elfs schoß ein blendender Lichtstrahl zur Basis des Schachts, sammelte das Sonnenlicht und trieb es in den Nosferatu.
Das Ding fiel auf die Knie und wurde von einem krampfhaften Hustenanfall geschüttelt. Es spie eine große Lache schwarzen Bluts auf den Boden, das zischte, als es auf den Stein fiel, und ihn wie Säure ver- ätzte. Fleisch schälte sich dampfend von seinen Knochen, da sich seine Körperflüssigkeit in Fetzen beißenden, stinkenden Rauchs auflöste.
Niall stand über den sich rasch zersetzenden Überresten des Nosferatu und begann mit einem Singsang auf Gälisch-Sperethiel. Serrin kannte den Dialekt nicht, aber er sprach die Elfensprache gut genug, um den Sinn zu verstehen. Der Elf übereignete die Überreste der Seele den Großen Leuchtenden Geistern, bat um ihren Schutz und ihre Rechtschaffenheit, beschwor ihre Vergeltung auf die Seele herab und wob glänzende Karmaketten, um sie darin für viele noch kommende Leben zu binden.
Die Überreste des Nosferatu erschauerten noch einmal und lagen dann still. Nur der Schädel und die größeren Knochen des Körpers waren in den zerfetzten Lumpen seines Anzugs noch geblieben. Niall zog einen silbernen Dolch aus der Jacke und stach ihn in das Septum. Der Schädel schmolz wie Butter, wo er ihn getroffen hatte, und brach dann auseinander. Ein gräßliches Heulen hallte von den Wänden wider, bevor es in weiter Feme verklang.
Serrins Blick war immer noch von Nialls Macht gebannt, als sein Körper registrierte, daß er nicht mehr kontrolliert wurde. Er stürzte nach vorne und konnte nichts dagegen tun, weil alle Kraft aus ihm gewichen war. Er rollte hilflos auf den Rücken, bis er neben Kristen lag und zu Tom hochsah.
Der Troll war auf den Beinen. Der gewaltige Elfengeist hielt ihn, die Arme um die mächtige Brust des Trolls geschlungen. Toms Blicke und die des Geistes ließen einander nicht los, bis der Troll die Augen schloß. Heiße Tränen liefen ihm über die Wangen.
Zuerst konnte er ohne die Hilfe des Geistes nicht aufrecht stehen, da ihm die Kraft seiner Implantate fehlte, bis neues Leben und neue Kraft in seinen einstmals verunstalteten Körper strömten. In diesem Zustand, in dem er wie ein Kind war, hilflos und unfähig zu stehen, spürte Tom die Energie, das Wachsen und jede freudige und wunderbare Eigenschaft des Lebens durch Körper, Herz und Seele schießen. Die toten und schmerzerfüllten Stellen in ihm schmolzen dahin wie zuvor das Metall, als der Geist in ihn eingedrungen war. Einen Augenblick lang schien der Geist das Aussehen Bärs anzunehmen, und er spürte mächtige Tatzen um sich. Es war, als werde er zum zweitenmal geboren.
Serrins Hand zuckte. Irgendwie fand sie Kristens Hand und hielt sich daran fest. Dann ruhten Nialls Hände auf ihnen beiden und heilten und kühlten, und sie spürten, wie die Kraft in ihre Körper zurückkehrte.
Serrin gelang es, sich auf die Knie aufzurichten und Niall anzusehen. Er wollte etwas sagen, irgend etwas, aber er fand keine Worte. Er hockte nur da, während sich seine Zunge sinnlos hin und her bewegte. Er hätte nicht reden können, auch wenn es ihm jemand mit vorgehaltener Pistole befohlen hätte.
Dann sah er den Elf nicht mehr. Kristen lag auf ihm, umarmte ihn, küßte sein Gesicht. Sie nahm seinen Kopf in die Hände und küßte ihn auf den Mund.
»Ich denke, wir sollten gehen«, sagte der Elf.
Keiner von ihnen konnte auf dem Weg aus den Ruinen an irgend etwas anderes denken. Die Anstrengung, einen Fuß vor den anderen zu setzen, war so groß, daß sie die letzten Aufmerksamkeits- und Willenskraftreserven in Anspruch nahmen, die ihnen noch geblieben waren. Von Niall und Mathanas angeführt, kamen sie dennoch schneller durch den Wald, als ihnen das auf dem Hinweg gelungen war. Die Fähigkeiten des Geistes, dachte Serrin. Der Geist verändert das Gelände.
Es kam ihm lächerlich unangemessen vor, als Niall die Tür des Wagens öffnete. Fahrzeuge gehörten in die wirkliche Welt. Und sie waren noch nicht bereit, wieder dorthin zurückzukehren. Tom setzte sich auf den Beifahrersitz, um sich dann leicht hin und her zu wiegen.
»Laßt ihn in Ruhe«, sagte Niall. »Er hat einiges, womit er ins reine kommen muß.«
»Haben
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