Notaufnahme
Mittag fand in Rod Squires’ Büro ein Treffen aller Abteilungsleiter statt, in dem es um organisatorische Fragen ging.
Während ich, den Telefonhörer am Ohr, darauf wartete, mit jemandem vom St. Luke’s Crime Victims Intervention Program verbunden zu werden, steckte Faith Griefen den Kopf durch die Tür. »Sarah sagte, du hättest immer ein paar Ersatz-Strumpfhosen in der Schreibtischschublade. Kannst du mir mit einer aushelfen?«
Ich nickte und gab ihr mit einer Handbewegung zu verstehen, sie möge sich einen Augenblick gedulden, bis ich meiner Gesprächspartnerin erklärt hatte, wie wichtig es war, dass sich Vergewaltigungsopfer auf eine HIV-Infektion testen ließen.
»Ich hatte einen Gerichtstermin und bin an der Anklagebank hängengeblieben«, berichtete Faith und deutete auf eine breite Laufmasche, die am Knöchel begann und sich bis hoch unter ihren Rock zog. »Die alten Holzmöbel im Saal 52 rauben mir noch den letzten Nerv; jedesmal, wenn ich dort eine Verhandlung habe, passiert mir das Gleiche.«
»Die Geschworenen haben dabei ihren Spaß, soviel ist sicher«, erwiderte ich mit einem Blick auf Faith’ schlanke Beine und öffnete die Schublade mit der Aufschrift »Abgeschlossene Fälle«. Darin befanden sich neben mehreren Paaren Escada-Pumps mit unterschiedlichen Absatzhöhen einige Packungen Strumpfhosen, diverse Schminkutensilien, eine Zahnbürste und Zahnpasta – also alles, was einer Staatsanwältin aus der Klemme helfen konnte. Ich reichte Faith eine Strumpfhose und klärte sie darüber auf, dass die sehr geringe Anzahl weiblicher Kollegen einer der unangenehmsten Begleitumstände war, als ich damals vor zehn Jahren bei der Staatsanwaltschaft angefangen hatte. Die Männer waren zwar gute Kumpels und brauchbare Mentoren, doch nachdem Battaglia sich entschlossen hatte, mehr Frauen einzustellen, hielt mit den neuen Kolleginnen in unserer Abteilung ein ganz anderer, zuvor undenkbarer Teamgeist Einzug. Nicht, dass man sich nun auch über andere Themen als Demi Moores Brustimplantate unterhalten konnte, nein, es wurde auch einfacher, im Bedarfsfall eine Strumpfhose, einen Tampon oder eine Nagelfeile zu organisieren, ohne dass man wegen jeder Kleinigkeit die Praktikantinnen ins Kaufhaus schicken musste.
Faith war schon zum Umziehen in die Toilettenräume verschwunden, als Rose Malone mit einer Liste von Stichpunkten hereingeschneit kam, die Battaglia bereits für seinen Vortrag in England zusammengestellt hatte.
»Der Chef möchte, dass Sie sich das hier ansehen. Er lässt Ihnen ausrichten, dass Sie Ihren Vortrag selbst gestalten können, dass aber diese Positionen in Sachen kontrollierter Waffenbesitz, Umgang mit der Drogenproblematik, Behandlung von Drogenabhängigen und Todesstrafe enthalten sein sollten. Außerdem sollen Sie Ihre eigenen Standpunkte in Bezug auf Sexualstraftaten und Gewalt innerhalb der Familie einbringen. Einverstanden?«
»Klar. Ich überarbeite das Papier sofort, so dass Laura es gleich sauber abtippen kann. Gibt es noch weitere Richtlinien?«
»Mr. B. hat Lord Windlethorne angerufen und ihm die personelle Umdisponierung erläutert; sie freuen sich sehr, dass Sie an der Veranstaltung teilnehmen. Geoffrey Dogen wird am Freitagvormittag raus nach Cliveden kommen; da Sie Ihren Vortrag bereits am Donnerstagnachmittag halten, haben Sie und Mike den ganzen Freitag Zeit für ihn. Am Montag erwartet Mr. B. natürlich gleich in aller Frühe Ihren Bericht.«
Ich dankte Rose für die Informationen und unterrichtete sie über die jüngsten Zwischenfälle im Columbia-Presbyterian und im Metropolitan, so dass sie Battaglia umgehend darüber informieren konnte. »Falls er Fragen hat, weiß er, wo er mich findet. Also dann, bis nächste Woche.«
Pauls Vortrag war knapp und prägnant und brachte die Themen auf den Punkt. Die meisten seiner Positionen waren mir vertraut, so dass ich nur noch meine Aussagen zu meinen eigenen Themen hinzufügen musste. Nachdem ich Laura meine handschriftlichen Notizen zum Abtippen gegeben hatte, bekam ich die Nachricht, dass die Teilnehmer des Gesprächskreises allmählich in Rods Besprechungszimmer eintrudelten.
Der Kontrast zu dem Konferenzraum des Mid-Manhattan hätte kaum größer sein können: Zu vierzehnt saßen wir dicht gedrängt um zwei kunststoffbeschichtete Besprechnungstische herum – keine Spur von eleganten, hochglanzpolierten Holzmöbeln; anstelle von ledergepolsterten Sesseln mussten wir uns mit vinylbezogenen Stühlen zufriedengeben, und
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