Notaufnahme
an den Wänden hingen billige Reproduktionen in Plastikrahmen. Normalerweise musste man bei den Mittagsbesprechungen sein eigenes Sandwich mitbringen; beim Verzehren tat man gut daran, keinen Blick in die Zimmerecken zu werfen, wo man Spuren jenes grünen Pulvers entdecken konnte, mit dem man seit einiger Zeit versuchte, den nagenden Untermietern des Gebäudes den Garaus zu machen; die Pelztierchen hatten sich allerdings so sehr an das Zeug gewöhnt, dass sie es mittlerweile als Naschwerk betrachteten.
Rod, ein intelligenter, humorvoller Mann, war in all den Jahren immer mein Lieblingssupervisor gewesen; er war sehr aufgeschlossen, hatte immer ein offenes Ohr und verfügte über ein sicheres Urteilsvermögen. Unzählige Male hatte er mich dadurch, dass er meine Fälle mit mir ruhig und sachlich durchsprach, vor übereilten Aktionen bewahrt. Sowohl seine freundschaftliche Unterstützung als auch sein enormes Wissen waren für mich von unschätzbarem Wert.
Ich organisierte mir einen Stuhl und rückte ihn neben John Logan; während ich meinen fettarmen Joghurt öffnete, packte er ein köstlich duftendes Sandwich aus.
Wir begrüßten einander, während Rod und Pat die Tagesordnungspunkte bekannt gaben und auf die letzten Nachzügler warteten. »Haben Sie schon von dem Überfall auf die junge Ärztin gehört?« erkundigte sich Logan. »Welche Auswirkungen hat das auf Ihren aktuellen Fall?«
»Oh, falls Sie jemanden kennen, der bereit ist, beide Taten zu gestehen, sagen Sie mir bitte Bescheid. Dann bin ich aus dem Schneider.«
»Gern«, erwiderte Logan grinsend.
Rod wollte allmählich anfangen. »An die Arbeit, Leute. Wir haben keine Zeit zu verlieren, zumal Alex demnächst mit Chapman in die Flitterwochen aufbricht.«
Einige Köpfe flogen herum; alle waren gespannt auf meine Reaktion – wie gewöhnlich brodelte es natürlich auch diesmal in der Gerüchteküche. Aber ich kannte Rods Scherze und tat ihm nicht den Gefallen, rot anzulaufen.
»Schön jedenfalls, Alex, dass du trotzdem noch zu unserem Meeting gekommen bist. McKinney sagte, er sei nicht sicher, ob du überhaupt noch hier arbeitest.«
»Sein übliches Wunschdenken, Rod«, erwiderte ich und warf Pat ein aufreizendes Lächeln zu.
Rod ging zum ersten Tagesordnungspunkt über; es ging darum, eine andere Lösung für die Anklagevernehmungen zu finden, die zwischen Mitternacht und acht Uhr morgens stattfanden. In der Vergangenheit waren diese Vernehmungen von ganz jungen Assistenten durchgeführt worden, doch in den letzten Monaten hatte sich diese Praxis als viel zu langsam und unproduktiv erwiesen, so dass wir nun gezwungen waren, über ihren Sinn nachzudenken. Während die unterschiedlichsten Meinungen durch den Raum schwirrten, war ich mit meinen Gedanken ganz woanders; ich überlegte, was Mercer während meiner und Mikes Abewesenheit am sinnvollsten tun konnte.
Gegen halb drei löste Rod die Sitzung auf und rief mich zu sich, um mir mitzuteilen, er sei im Mid-Manhattan-Fall auf einen weiteren Verdächtigen gestoßen. Er überreichte mir einen Stapel Unterlagen, die ihm ein Staatsanwalt aus Detroit zugeschickt hatte.
»Hast du schon einmal von einem Arzt namens Thangavelu gehört?«
»Nein, noch nie gehört. Wer ist das?«
»Ein Arzt, dem vorgeworfen wurde, während einer vaginalen Untersuchung an einer Patientin Cunnilingus praktiziert zu haben. Er wurde rechtskräftig verurteilt, doch ein Berufungsgericht in Michigan verwarf das Urteil; die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Staatsanwaltschaft niemals zweifelsfrei widerlegt habe, dass die von dem Arzt praktizierte ›Untersuchungsmethode‹ nicht doch ein sinnvoller Bestandteil der Behandlung hätte sein können. Ich kann dir nur eines raten, Alex: Falls es dir in Michigan irgendwann mal schlecht geht, fahr in jedem Fall noch über die Grenze nach Ohio. Stell am besten möglichst bald fest, ob sich dieser Typ in New York aufhält und sich im Mid-Manhattan eingenistet hat.«
»Danke für den Tip, Rod, du bist mir wie immer eine große Hilfe. Dieser Fall ist mir und Sarah bei unserer Recherche ganz offensichtlich durch die Lappen gegangen. Ich kümmere mich darum, sobald ich wieder aus England zurück bin.«
Nachdem ich Laura die letzten Anweisungen gegeben und sämtliche Rückrufe erledigt hatte, blieb mir nur noch eine Stunde. Sarah schaute noch kurz vorbei und versicherte mir, dass sie in den folgenden Tagen die Stellung halten werde.
Ich packte die Fotos vom Tatort zusammen, und außerdem
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