Notaufnahme
eine längere Pause.
»Er rief erst an, nachdem er aus der Zeitung erfahren hatte, dass ich die Ermittlungen im Morfall Gemma Dogen leite, stimmt’s? Er rief erst ein, zwei Tage vor der Dinner-Party an, die du inzwischen organisiert hattest. Du hast für ihn einfach einen zusätzlichen Stuhl dazugestellt, hab’ ich Recht?«
»Und selbst wenn – was ist daran verkehrt? Ich hatte von alledem wirklich keine Ahnung, Alex. Aber ich kann es dem Mann auch nicht verübeln, dass er die Ermittlungen im Mord an einer Ärztin, die sein Leben derart aus den Fugen gebracht hat, mit Interesse verfolgt. Alex, ich habe seit der Dinner-Party mehrmals mit ihm gesprochen – er liebt dich wirklich.«
»Ich finde es schon seltsam, dass ich mich plötzlich in eine Liebesgeschichte mit dem Mann verstricke, dessen Frau von der Ärztin umgebracht wurde, deren Mord ich gerade versuche aufzuklären …«
» Ich muss Schluss machen. Das Baby schreit und …«
» Du hast kein Baby.«
»Wie schade! Wenn du Nina mit deinen Anrufen zum Wahnsinn treibst, wirkt die Ausrede immer. Vielleicht leihe ich mir eins aus, bis du über diese Phase hinweg bist.«
»Tut mir leid.«
»Schau, du hast Drew erst ein paarmal getroffen. Jim kennt ihn schon sein Leben lang. Bring die Ermittlungen zu Ende und gib ihm eine Chance.«
Ich lag jetzt auf der Seite, den Kopf auf den Ellenbogen gestützt und den Hörer am rechten Ohr. Wir plauderten einige Minuten, bis ich wieder auf den eigentlichen Grund meines Anrufs zurückkam. »Mike hält die Idee für völlig verrückt, aber kannst du dir – oder besser: Jim sich – vorstellen, dass Drew Dr. Dogen so sehr gehasst hat, dass er, ich meine, nicht er selbst, aber dass er jemanden angeheuert hat, der …«
Ein Schwall der Empörung brach über mich herein. Am Ende ihrer Gardinenpredigt atmete Joan tief durch.
» Tu mir einen Gefallen«, sagte sie. »Hör auf Mike; er hat wie so oft Recht. Ich bin am Dienstag wieder in New York, dann können wir alles noch einmal in Ruhe besprechen. Ruf mich am Sonntag hier an, sobald du wieder in der Stadt bist.«
Mike hatte inzwischen geduscht und sich rasiert und kam in einem dunkelblauen Anzug aus dem Bad. Nachdem er seine Krawatte gebunden und sorgfältig zurechtgerückt hatte, war er bereit zum Abmarsch.
Nach meiner Unterhaltung mit Joan ging es mir – wie meistens – viel besser. Es gab im Augenblick tatsächlich keinen Grund, Drew in die Wüste zu schicken, zumal mir bis zur Aufklärung unseres Falls ohnehin nicht viel Zeit für Treffen mit ihm bleiben würde. Ich beschloss, den Abend zu genießen, und stellte mir vor, was aus uns werden könnte, wenn der Fall erst einmal abgeschlossen war.
»Wird mein Mauerblümchen den Abend wieder allein auf dem Zimmer verbringen, oder kommen wir in den Genuss ihrer Gesellschaft?«
»Gib mir eine halbe Stunde Zeit. Ich dusche mich, ziehe mich an und komme runter.«
»Das hast du gestern auch gesagt.«
Ich scheuchte ihn aus dem Zimmer, verschwand unter der Dusche, wusch mein Haar und schlüpfte anschließend in mein schwarzseidenes Cocktailkleid, dessen kurzer, in Falten gelegter Rock bei jeder Bewegung mitschwang. Meine Laune war besser als seit Tagen.
Als ich kurz nach sieben in die Halle runterkam, erblickte ich zwischen den lichten Häuptern der älteren Herren Mikes dichtes Haar und bahnte mir den Weg zu ihm. Mike hatte mir den Rücken zugewandt und betrachtete interessiert die riesigen Wandteppiche, die die Halle schmückten. Neben ihm stand eine Frau in einem trägerlosen Abendkleid; ihre bloßen Schultern schimmerten wie feinstes Pozellan, und in ihrem kurzen platinblonden Haar funkelte ein diamantenes Diadem. Aufmerksam lauschte sie Mikes Worten und nickte schließlich zustimmend.
Ich näherte mich ihnen, wollte jedoch nicht in ihre Unterhaltung hineinplatzen, sondern beschloß zu warten, bis Mike mich entdeckte.
»Ich wusste nicht, dass zwischen Orkney und diesem Haus jemals eine Verbindung bestand, aber ansonsten kenne ich die Geschichte.« Chapman deutete auf die Wandteppiche; er war gerade dabei, der Frau zu erzählen, dass der Earl of Orkney Englands erster Feldmarschall und bei Blenheim zweiter Mann hinter dem Duke of Marlborough gewesen war. Die Tapisserien zeigten diesen Sieg und stellten sehr eindrucksvoll die hohe Kriegskunst dar.
Meine Neugier war stärker als meine guten Manieren, und nachdem mir einer der Kellner meinen Drink gebracht hatte, trat ich an Mikes Seite, um mich in die Unterhaltung
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