Notaufnahme
weiß, dass es dort vor Irren nur so wimmelt – ich spreche wohlgemerkt von den unterirdischen Bewohnern. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Mörder seine Tat als Vergewaltigung getarnt, um uns auf eine falsche Fährte zu locken.«
Mike schob die Dias in den Projektor. »Diese Bilder haben wir am Tatort aufgenommen, Doc. Ich weiß nicht, wie gut Sie Gemmas Büro kannten, aber vielleicht fällt Ihnen ja etwas auf.«
»Ich habe sie dort einige Male besucht und besitze sogar selbst einige Fotos davon. Gemma hat sie mir geschickt – ›Ich in meiner natürlichen Umgebung‹ nannte sie diese Schnappschüsse.«
Mike drückte den Knopf, und die Bilder huschten über die Leinwand. Aufmerksam betrachtete Dogen die Aufnahmen; viele zeigten ein und dasselbe aus verschiedenen Perspektiven.
»Da haben wir sie ja«, bemerkte Creavey in die Stille und deutete auf einen massiven Gegenstand, der als Briefbeschwerer auf einem Stapel Unterlagen auf Gemmas Schreibtisch thronte. »Die Tower Bridge.«
»Ja, die habe ich ihr auf dem Flohmarkt in der Portobello Road gekauft. Sie liebte das Ding. Wenn Sie ein, zwei Dias zurückgehen, Chapman, kann ich Ihnen sagen, wer die Leute auf den Fotos sind. Ein paar Aufnahmen habe ich sogar selbst gemacht.«
Mike ließ das Karussel in umgekehrter Richtung laufen, und Dogen nannte uns die Namen der Menschen, die auf den Schnappschüssen zu sehen waren. Der Kleidung und den Frisuren nach zu schließen, waren die meisten der Aufnahmen viele Jahre alt. Dieses Wiedererkennen hatte für Dogen eher persönlichen Wert, als dass es für unsere Ermittlungen wichtig war, doch sowohl Chapman als auch ich waren froh, dem freundlichen, sanftmütigen Mann eine Freude machen zu können.
»Hoppla. Halten Sie mal kurz an, Chapman.« Dogen sprang auf und eilte zur Leinwand. »Kompliment, Sie haben wirklich sorgfältig gearbeitet. Aber wissen Sie, dass hier am Bücherregel etwas fehlt? Ihr Schlüsselanhänger.«
Chapman und ich tauschten verwirrte Blicke. »Welcher Schlüsselanhänger?«
»Noch eine von diesen Tower Bridge-Nachbildungen. Sehen Sie diesen Haken am Ende des Regalträgers?« Dogen stand neben der Leinwand und deutete auf die Stelle, von der er sprach.
»Hier hatte Gemma ihre Ersatzschlüssel hängen. Der Schlüsselring passte genau über das Ende des Metallträgers, und auf diese Weise hatte sie die wichtigsten Schlüssel – den für ihre Wohnung und den für das Büro – immer griffbereit. Sie nahm sie immer dann mit, wenn sie nicht ihre ganze Handtasche mit sich herumtragen wollte, Sie verstehen«, sagte Dogen und sah mich an.
Ich nickte; auch ich hatte einen zweiten Satz Wohnungsschlüssel, den ich mitnahm, wenn ich joggte oder Zac ausführte und all die anderen Schlüssel an meinem gewöhnlichen Schlüsselbund nicht brauchte. Die Polizei hatte Gemmas Handtasche unberührt in der Schreibtischschublade gefunden; die Schlüssel, mit denen Mercer und ich in ihre Wohnung gekommen waren, stammten aus dieser Tasche.
»Und Sie sagen, dass jedesmal, wenn Sie sie besuchten, an diesem Haken ein Schlüsselbund hing?«
»Ja, immer. Sie bewahrte ihn immer dort auf, Detective. Wir machten Witze darüber. Sie pflegte ihr Büro ›Traitor’s Gate‹ zu nennen – nach dem Tor des Towers, durch das die zum Tode verurteilten Gefangenen zur Hinrichtung geführt wurden. Dort konnten sie den letzten Blick in die Freiheit werfen. Da sie sich im Minuit als Außenseiterin betrachtete, bezeichnete sie ihre Schlüssel als Weg in die Freiheit. Sie baumelten immer am selben Ort, so dass Gemma sie mit einem Griff erreichen konnte, wenn sie eine Runde drehen, nach Hause gehen oder einfach nur eine Weile den Menschen entkommen wollte, die sie nicht besonders mochte. Ich schwöre Ihnen, dass Sie auf jedem früheren Foto ihres Büros den Schlüsselbund genau an dieser Stelle sehen werden.« Aufgeregt deutete Dogen auf den Haken am Ende des Regalträgers, der vergrößert auf der Leinwand zu sehen war.
Weder Mike noch ich wussten, was wir mit dieser neuen Information anfangen sollten. Nachdem Dogen sich wieder beruhigt hatte, betrachteten wir die restlichen Dias. Als Dogen gegen fünf den Raum verließ, um ein Telefonat zu führen, tauschten Mike und ich ratlose Blicke.
»Was denkst du, Blondie?«
»Schwer zu sagen. Wahrscheinlich sind die Putzleute die einzigen, die uns sagen können, wann der Schlüsselbund noch an dem Haken hing und ab wann er verschwunden war. Aber lass uns auf jeden Fall in der nächsten
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