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Notaufnahme

Notaufnahme

Titel: Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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vor, doch die beiden Putzfrauen, die nachts die Büros der Professoren reinigten, erkannten den Mann, der sich selbst Pops nannte.
    Ich verließ den Raum und bat Mike, nacheinander die beiden Frauen zu mir in Petersons Büro zu bringen.
    Ich griff nach einem frischen Block und versah das erste Blatt mit Datum und Uhrzeit: 23 Uhr 45. Die Detectives hatten bereits die Angaben zur Person aufgenommen, und aus den Notizen konnte ich ersehen, dass Ludmila Grascowicz und Graciela Martinez die Büros im fünften und sechsten Stockwerk des Minuit Medical Center putzten.
    Beide Frauen waren Einwanderinnen – Ludmila stammte aus Polen und Graciela aus der Dominikanischen Republik. Ludmila Grascowicz arbeitete seit drei Jahren im Mid-Manhattan, Graciela Martinez seit sechs Monaten. Nach dem Mord an Gemma Dogen hatte Ludmila darum gebeten, in die Tagschicht versetzt zu werden, und Graciela hatte den Job ganz geschmissen. Beide kannten Gemma Dogen vom Sehen, denn sie war während der Nachtschicht der Putzkolonne – von Mitternacht bis acht Uhr morgens – oft in ihrem Büro. Die Frauen hatten allerdings nicht persönlich mit Dogen zu tun gehabt, weil es ihnen untersagt war, nachts das Büro der Professorin zu betreten; sie wollte bei ihrer Arbeit nicht gestört werden, also wurde ihr Zimmer tagsüber gereinigt, allerdings nur, wenn die Tür offen stand und die Ärztin ganz offensichtlich unterwegs war. Gemma Dogen schätzte keine Störungen und mochte es nicht, wenn jemand ihre Sachen berührte.
    Ludmila, eine korpulente Person, sprach mit starkem Akzent. Bei jedem Atemzug hob und senkte sich ihr breiter Brustkasten, und nach jeder Antwort bekreuzigte sie sich. Ja, in den vergangenen Wochen habe sie den Mann mit der Nummer vier oft gesehen. Er habe mehrmals versucht, sie anzusprechen, aber sie konnte ihn nicht verstehen. Am Montagabend sei sie gegen halb zwölf, zur Nachtschicht angetreten und habe den Mann auf der Treppe zwischen dem fünften und den sechsten Stock getroffen. Nein, weder an seiner Erscheinung noch an seiner Kleidung sei ihr etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Allerdings gab sie an, ihn nicht weiter beachtet zu haben, da sie sich bei den Sicherheitsleuten wiederholt über sein Herumlungern im Medical College beschwert habe, ohne dass etwas geschehen sei. Sie bekreuzigte sich ein letztes Mal, murmelte einen letzten Segensspruch für Dr. Dogen und war am Ende ihres Berichts angelangt.
    Im Vergleich zu der aufgeregten Graciela wirkte Ludmila im Nachhinein fast ruhig. Auch Graciela putzte in den beiden Stockwerken. Obwohl sie und Ludmila nur wenig miteinander sprachen, hatten sie sich zusammengetan, um sich über Pops’ nächtliche Streifzüge zu beschweren. Gracielas Hand zitterte so stark, dass der Inhalt des Wasserglases, das ihr jemand zur Beruhigung in die Hand gedrückt hatte, auf den Tisch schwappte. Graciela war ganz sicher, den Mann in den frühen Morgenstunden des Dienstags im sechsten Stock aus der Herrentoilette kommen gesehen zu haben. Sie verzichtete darauf, die Sicherheitsleute zu rufen, da diese bislang noch nie auf ihre Anforderungen reagiert hatten. Stattdessen beschloss sie, in der Bibliothek zu putzen, da sie wusste, dass dort selbst zu dieser Uhrzeit immer noch irgendein Student über seinen Büchern brütete.
    Ich dankte den Frauen für ihre Mitarbeit und übergab sie dem Lieutenant, der dafür sorgte, dass sie nach Hause gebracht wurden.
    Sarah erschien, um zu fragen, was als Nächstes passieren sollte. Die Durchsuchungsbefehle waren vorbereitet, und sie wollte sich darum kümmern, dass sie gleich am folgenden Morgen vom Richter unterschrieben würden.
    Wir gingen wieder rüber in den Gegenüberstellungsraum und sahen durch die verspiegelte Scheibe. Die Füllpersonen waren inzwischen nach Hause geschickt worden, und Mercer saß mit Pops am Tisch; mit leiser, ruhiger Stimme redete er auf den Alten ein, um sein Vertrauen zu gewinnen. Sarah und ich hatten Mercer schon hunderte von Malen in ähnlichen Situationen gesehen.
    »Ist es nicht seltsam?« bemerkte Sarah. »Wenn du diese Jungs auf dem Revier oder im Gerichtssaal siehst, hast du plötzlich Mitleid mit ihnen. Vorhin im Taxi habe ich diesen Mann gehaßt; selbst der Gedanke an die Todesstrafe schoss mir durch den Kopf. Wenn ich mir so ein grausames Verbrechen vorstelle, wäre ich in der Lage, eigenhändig die Todesspritze zu setzen.«
    »Das ging mir genauso, als er vorhin vor mir stand – über und über besudelt mit Gemma Dogens Blut. Wie

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