Notaufnahme
blutüberströmten Psychopathen.«
Ich griff nach der Fernbedienung, aber Ryan war schon bei der nächsten Meldung – einer Schießerei in einer U-Bahn-Station in der Bronx. »Verdammt, schon vorbei.«
»Wenn du auf dem Weg ins Büro schnell auf dem Revier vorbeischauen willst, kann ich dich abholen, okay?«
»Prima. Ich bin in zwanzig Minuten fertig. Warte an der Ecke vor P.J. Bernstein’s auf mich.« Ich fönte mir schnell durchs Haar und versuchte, mit Rouge und Wimperntusche ein bisschen Leben in mein Gesicht zu bekommen. Ich hatte die dunklen Winterfarben langsam satt und beschloss, meine Stimmung mit etwas Farbigem aufzuhellen. Ich ging meinen Kleiderschrank durch und entschied mich für mein knallrotes Escada-Kostüm.
Als ich Bernstein’s Feinkostgeschäft betrat, grüßte mich der Besitzer freundlich. Ich bestellte zwei Dutzend Bagels, Gebäck und Doughnuts, dazu ausreichend Kaffee, um mir auf dem Revier eine halbwegs freundliche Begrüßung zu sichern.
Draußen wartete Mike schon im Wagen. Wenig später steuerte er in Richtung Revier, in der linken Hand einen Doughnut balancierend. Ich hatte die Post auf den Knien liegen und schlug Seite drei auf: ÄRZTIN STIRBT IM KAMPF GEGEN VERGEWALTIGER – VERDÄCHTIGER FESTGENOMMEN.
Glücklicherweise wurden wir vor dem Revier nicht von Reportern erwartet.
Lieutenant Peterson saß bereits hinter dem Schreibtisch, der seit Mittwochmorgen zu seiner Kommandozentrale geworden war. Er wohnte fünfzig Meilen außerhalb der Stadt und hatte die Nacht – oder besser: die drei Stunden Schlaf, die er sich gegönnt hatte – auf einer schmalen Pritsche in der Mordkommission verbracht.
»Guten Morgen, Alexandra. Morgen, Mike. Es gibt Neuigkeiten. Albany hat mit den Fingerabdrücken Erfolg gehabt – wir wissen jetzt, wer Pops ist.«
Peterson reichte Mike den Ausdruck aus dem New York State Identification System. Chapman las vor. »Austin Charles Bailey. Geboren am 12. Oktober 1934. Vierundsechzig ist er also. Hm, um die zwanzig Vorstrafen. Diebstahl, Raub, Hehlerei, wieder Diebstahl.« Er blätterte um und überflog die Liste der Delikte schneller, als er sie hätte vorlesen konnte.
»Die letzte Tat ist zwölf Jahre her. Mord. Nicht verurteilt wegen Unzurechnungsfähigkeit.«
Peterson wusste schon Bescheid. »Ja, eingewiesen in die Psychiatrie für geistesgestörte Straftäter in Rockland County. Das Dumme daran ist, dass er vor zweieinhalb Jahren ausgebrochen ist und niemand sein Verschwinden gemeldet hat.«
»Wen hat er umgebracht?«
»Seine Frau. Den größten Teil seines Lebens hat er in psychiatrischen Anstalten verbracht. Beide waren Trinker. Sie hat ihm ‘nen 45er Colt übern Schädel gezogen – einen kaputten, wohlgemerkt. Das erklärt die Narbe, die quer über seine Wange und den Hals verläuft. Er ist ausgerastet und …«
» Lass mich raten«, unterbrach ihn Chapman. »Und hat sie erstochen. Und womit? Mit einem Küchenmesser.«
»Mit einem gezackten Steakmesser.«
»Und er hat nicht ein- oder zweimal zugestochen, stimmt’s, Loo?«
»Ungefähr zweiundzwanzig Stichwunden. Ganz zu schweigen von den Schnitten quer übers Gesicht.«
»Typischer Fall von häuslicher Gewalt«, murmelte ich. Diese Schilderung passte in das Muster, dem die meisten Morde innerhalb der Familie folgten. Nicht nur tödliche Wunden, sondern obendrein eine wüste Verstümmelung des Opfers. Unglaublich, wie tief der Hass zwischen Menschen sein konnte.
Manche Täter fielen außerhalb ihrer vier Wände niemals durch Gewaltaktionen auf, sondern sparten sich ihre Grausamkeiten allein für die Angehörigen auf. Andere hingegen legten mit dem ersten Mord jegliche Hemmungen ab und richteten die Gewalt dann auch gegen andere.
»Tut dir der alte Knabe immer noch leid, Coop?«
Mich beschäftigte in Gedanken schon der nächste Schritt. Die Herausforderung bestand nun nicht mehr darin, Gemma Dogens Mörder zu finden. Vielmehr ging es jetzt darum, einen hieb- und stichfesten Indizienprozess aufzubauen, der vor Gericht standhielt.
»Redet er inzwischen?«
»Ich hab’ noch niemanden in seine Nähe gelassen. Mercer hat bis jetzt das beste Verhältnis zu ihm. Ich werde ihn zu ihm schicken, sobald er eintrifft.«
»Mike, warum bringst du ihm nicht sein Frühstück und freundest dich mit ihm an, während wir auf Mercer warten?«
Während Mike die Tüten mit dem Essen und dem Kaffee öffnete, um die Jungs im Einsatzraum zu versorgen, meldete sich mein Pager. Ich nahm das kleine schwarze
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