Notizen einer Verlorenen
Arbeitsstelle. Vor mir sah ich sein Gesicht und seine Stimmungsschwankungen beim letzten Treffen. Welchen Alexander würde ich heute antreffen? Doch dann wählte ich seine Nummer.
»Kannst du mich hier in Mülheim abholen?«
Meine Stimme musste sehr bedrückt geklungen haben. »Was ist passiert?«, fragte er sofort.
»Es geht mir schlecht und ich weiß nicht, wie ich nach Hause kommen soll. Ich weiß überhaupt nicht, was ich noch soll.«
»Wo bist du?«
»In der Firma, ich warte auf dem Parkplatz davor.«
Wenn er wusste, wo meine Eltern lebten, wusste er auch, wo ich arbeitete.
»Ostausgang Rhein-Ruhr-Zentrum?«
»Wenn du es schon weißt.«
»Ich komme sofort! Mach dir keine Sorgen!«
Alexander legte auf.
Ich weiß ehrlich nicht mehr, wie ich die Treppe bis zum Ausgang bewältigte. Der Pförtner im Foyer sah mich verwundert an, als ich mich käsebleich und vornübergebeugt am späten Abend an ihm vorbei schleppte.
Graffiti und geplatzte Köpfe
Alexander fuhr mit einem roten Twingo vor und sprang heraus, um mir zu helfen. Unterwegs erbrach ich mich auf den Beifahrersitz. Es war mir egal, auch, dass er meine Tasche durchsuchte und mich wie ein Kind in seine Wohnung trug.
Erst gegen Mittag des nächsten Morgens erwachte ich in einem unbekannten Bett, noch immer mit leichten Kopfschmerzen, aber die Übelkeit hatte sich endlich gelegt. Am Boden neben dem Bett stand ein blauer Plastikeimer, mit einer Pfütze Wasser gefüllt. Besorgt untersuchte ich die Matratze und das schwarze fremde Bettzeug. Keine Spur von Erbrochenem, zum Glück! Ich hörte, wie jemand eine Espressomaschine bediente und kurz darauf betrat Alexander das Schlafzimmer mit einer kleinen Tasse des heißen Getränks. Ich wärmte mich daran und nippte. Diese winzige Tasse in meinen Händen durchflutete meinen müden Körper sofort mit liebevoller Wärme. Alexander sah besorgt aus. Er reichte mir ein Handy, damit ich meine Chefin anrufen konnte.
Erneut ein Ausfall am Arbeitsplatz. Allmählich machte ich mir Gedanken, ob das böse enden könnte! Als ich gleich darauf einen Termin bei meinem Hausarzt ausmachte, stand Alexander im Türrahmen und hörte zu.
»Soll ich dich hinfahren?«
»Es wäre schön, wenn du mich erst einfach nur nach Hause fahren könntest.« Kritisch musterte ich meine Kleidung, als ich schwankend aufstand. Ich trug noch immer die gleichen Sachen, wie tags zuvor. Nur die Schuhe hatte er mir wohl ausgezogen, bevor er mich in das Bett gelegt hatte, aber meine Bluse hatte unter meiner Übelkeit gelitten. Verschämt bedeckte ich den hellen Fleck darauf mit meiner Hand.
»Du kannst auch gerne hier duschen. Meine Freunde nennen mich übrigens Alex«
Ich sah ihn an. Da war er wieder, der Alexander, der mich so faszinierte. Er schmunzelte schräg und ich dachte sofort, wenn es mir besser gehen würde, würde ich es darauf heute ankommen lassen. Dieser Rest Schmerz in meinem Hirn aber und diese Kraftlosigkeit überlagerten vorerst jedes lebensbejahende Gefühl in mir. Noch immer unfähig, mich richtig zu bücken, zog ich meine Schuhe im Sitzen an wie eine alte Frau und folgte Alex schlurfend durch eine erschreckend rot tapezierte Diele.
»Sag mal, bist du Graffiti-Künstler?«
Befremdet blieb ich mitten im Wohnzimmer stehen. Eine wilde Farblandschaft prangte vor mir an den Wänden. Nicht ein Fleck, der nicht bemalt war, grell, bunt, wirr, wie in einem Graffiti-Park. Mir war, als stünden wir mitten in einem Comic. Die Farben schmerzten in meinen Augen. Nur der Teppich war mit seinem einfarbigen Graublau die einzige friedliche Fläche in dem Raum.
Von der Decke starrten mich unheimliche Kreaturen mit feurigen Augen an. Eines der gemalten Geschöpfe lauerte hinter dem Sofa und griff mit langen Fingern über die Lehne nach den Sitzenden. Die Wand gegenüber dem Sofa aber, die man ansah, wenn man auf den Fernseher blickte, diese Wand war düster, grau und schwarz. Geister in allen Grautönen trieben ihr Unwesen darauf und hätten mich in diesem Zimmer niemals in Ruhe leben lassen.
»Wie kannst du es in so einem unruhigen Raum bloß aushalten? Ich würde an einem einzigen Tag hier krank werden.«
Alexander lachte leise auf.
»Es sind Träume, die ich in die Realität banne.«
»Hast du das selbst gemalt?«
»Ich bin freischaffender Maler.«
»Und das sind die Dinge, von denen du träumst?«
Ich ging die Wände entlang und strich mit den Händen über die Farben, stellte mir vor, wie er hier mit dem Pinsel in weit ausholenden
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