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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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Warum liebst du mich nicht?
    »Komm, ich fahre dich jetzt nach Hause. Du hast einen Termin, Sarah.«
    So ließ er mich mit meinen Gefühlen im Stich, wie einst auf dem Parkplatz vor meinem Auto. Er fütterte mich an und ließ mich dann wieder hungern. Was sollte ich nur mit meinen Empfindungen für Alexander anfangen?

    Der Arzttermin war schnell erledigt. Mein Arzt schrieb mich krank, immerhin, und er überwies mich an einen Neurologen, aber ich wollte nicht dort hin. Ich kannte diese Arztmarathons, in denen sie nach allem suchen, nichts finden und am Ende sagen, dass man sich alles nur einbildet. Irgendwann würden sie sagen, dass ich in eine psychiatrische Abteilung muss und dann würde ich mir vielleicht wünschen, Marc hätte sich als Geisterfahrer doch nicht von mir aufhalten lassen. Redete mein Arzt nicht schon lange von Reizüberflutung und Depression? Wie sollte der Neurologe mir auch helfen können, wenn es andere vor ihm schon nicht gekonnt hatten? Ich löste in der Apotheke das Rezept für meine Triptane ein, hörte mir vom Apotheker zum tausendsten Mal an, dass man davon höchstens zehn im Monat nehmen dürfte und dachte, dass das Einzige, was mir wirklich helfen könnte, eine Enthauptung sei.

Das Haus und ich

    Als Alexander mich zwei Sonntage später zum Treffen im Haus der Verlorenen abholte, setzte ich mich wie mechanisch in sein Auto und fuhr mit. Er sprach von Plänen, selbstbestimmtem Leben, Heidegger, toller Gemeinschaft, und war wieder ganz der alte begeisterungsfähige junge Mann, der mich so faszinierte. Von Jens sprach er nicht mehr und ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er es bereute, mich an jenem Tag nicht richtig geküsst zu haben.
    Im Vereinshaus traf ich überraschend auf Marc. Er saß mitten unter ihnen und unterbrach seine Unterhaltung mit Kevin, um mir freudig die Hand zu drücken. Beschwingt ging er hinter die Bar.
    »Was willst du trinken?«
    »Gib mir einfach nur Wasser.«
    Ich nahm auf einem Barhocker Platz und beobachtete ihn, wie er geschäftig hinter dem Tresen hin und her lief, sich bückte und mit Glas und gekühltem Wasser zurückkam.
    »Willst du Eis?«, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf. Dann bediente er das junge Mädchen, das immer noch so krank aussah, wie vor zwei Wochen, schenkte auch ihr Wasser ein und unterhielt sich ein paar Sätze mit ihr, bevor sie wieder verschwand. Jemand, den ich noch nicht kannte, klopfte ihm auf die Schulter und holte sich ein Bier ab. War über Nacht ein Wunder geschehen? Marc bewegte sich auf einmal wie selbstverständlich unter ihnen, und er sprach mit den Leuten, als wären sie alle seine besten Freunde. Ich bemerkte in mir einen Unwillen empor kriechen.
    »Nanu, so gut Freund mit allen hier?«, stichelte ich.
    Marc schien das nicht zu beeindrucken.
    »Du, ich bin jetzt hier Mitglied!«
    Ich staunte. »Seit wann das denn?«
    »Ich habe mich letzten Sonntag dazu entschlossen und ich bin froh, dass sie mich hier aufgenommen haben. Sie nehmen nicht jeden auf, Sarah!«
    »Ach ja?«
    »Nein, man muss schon voll und ganz hinter ihrer Lebenseinstellung stehen und das kann halt nicht jeder. Dich würden sie hier nie aufnehmen.«
    »So? Warum nicht? Was ist denn das für eine Lebenseinstellung, von der du meinst, dass ich sie nicht verstehen könnte?«
    »Sarah, echt – darüber darf ich gar nicht sprechen. Vereinsgeheimnis! Tut mir leid.«
    Er registrierte mein leeres Glas.
    »Willst du noch mehr Wasser?«
    »Lass mal, ich schenke mir selbst ein.«
    »Jedenfalls sind wir im wahrsten Sinne des Wortes eine eingeschworene Gemeinschaft und jetzt, wo ich sie näher kennengelernt habe, kann ich sagen, das sind alles meine Freunde!«
    Marc schwenkte seinen Arm über den gesamten Raum.
    Seine Freunde – und wo war ich? Wo war unser heimliches Band geblieben, das uns zu Verbündeten machte? Er war doch genauso schuldig wie ich. Ich empfand es als ungerecht, dass er hier umherlief und sich wohlfühlte, während ich als Außenstehende und allein auf diesem Barhocker vegetierte. Seine Freunde! Warum sollten sie mich nicht auch mögen?
    »Vielleicht trete ich ja auch ein, in deinen Verein.«
    Marc lachte auf und kicherte dann noch eine Weile vor sich hin. Er merkte nicht einmal, wie gekünstelt das wirkte.
    »Wohl kaum! Ich sagte ja, sie nehmen nicht jeden auf. Außerdem muss man von jemandem vorgeschlagen werden.«
    »Und wer hat dich vorgeschlagen?«
    »Kevin!«, sagte er und hob seinen Kopf wie ein trotziges Kind, als wartete er darauf, auf

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