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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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schon mal daran gedacht.«
    Er hielt an einer roten Ampel vor der Abzweigung zur Autobahn.
    »Der Tod an sich ist ja nichts Schlimmes, sagen sie und das stimmt doch! Er ist das Nichts, das Ende aller Gedanken. Eigentlich viel leichter zu ertragen, als das Leben, nicht wahr?«, meinte er in einer so leisen Tonlage, dass man ihn kaum verstehen konnte.
    Ich dachte an Jens' Beerdigung und den Wunsch, mein ganzes Gejammer in das Grab zu werfen. Natürlich könnte man sich gleich auch selbst dort hineinwerfen. Kein Körper, kein Leid. Eine einfache Sache. Wie oft schon hatte ich in der Verzweiflung über diese alles vernichtenden Kopfschmerzen gedacht, zu sterben könnte einfacher sein; hatte mir den Tod nicht enden wollender Erinnerungen gewünscht?
    »Ja, das Leben ist manchmal wirklich schwer zu ertragen«, seufzte ich gedankenversunken.
    Die Ampel sprang auf grün.
    Ich drängte. »Fahr!«
    Langsam setzte Marc die Fahrt fort und bog auf die kurze Auffahrt ein. Es war dunkel draußen und spät in der Nacht. Alles, was ich heute noch wollte, war nach Hause fahren, mich auf mein Bett werfen und mir einen Eisbeutel auf den Kopf pressen.
    Der Wagen wendete. Irritiert sah ich durch die Scheiben nach draußen. In der Dunkelheit konnte ich nicht genau ausmachen, wo wir uns befanden. Da waren die Mauern der Lärmschutzwände neben uns und doch kam mir alles auf einmal so unbekannt vor. Plötzlich tauchten vor uns grelle Scheinwerfer auf. Ich schrie auf. Ein quietschendes Geräusch gellte in meinen Ohren und unser Wagen schlenkerte. Erschrocken riss ich den Kopf herum. Durch unsere Heckscheibe sah ich einen PKW schleudern. Anscheinend waren wir nur knapp einem Zusammenstoß entkommen. Aufgeregt sah ich zu Marc herüber, doch der starrte nach vorne, als wäre nichts geschehen.
    »Hast du das Auto nicht gesehen?«, rief ich entsetzt.
    Er gab keine Antwort. Stur blickte er auf die Straße, und als ich seinem Blick folgte, fühlte ich mich erneut geblendet.
    Erst jetzt begriff ich.
    »Marc! Du fährst im Gegenverkehr! Hast du etwa gewendet?«
    Keine Reaktion. Ein Fahrzeug jagte mit rasender Geschwindigkeit hupend an uns vorbei.
    Ich kreischte auf. »Bist du bescheuert?!«
    Meine Stimme klang so hell, dass sie mir selbst fremd vorkam.
    »Es kann ganz schnell gehen«, war seine knappe Antwort auf meine Aufregung.
    Jetzt blickte er mir ins Gesicht, während wir mit hundert Sachen und mehr auf der falschen Seite der Autobahn rasten, an Auffahrten vorbei, die uns hätten retten können.
    »Marc, was tust du da?!« Ich schrie.
    »Ich mache Schluss. Es hat doch sowieso alles keinen Sinn mehr.«
    Das sagte er fast sanft. Es war nicht so, dass er sich aufregte und mit einem unbändigen Gefühlsschwall sein Leben beenden wollte, sondern er stellte es einfach nur sachlich fest.
    Er gab mehr Gas. Krampfhaft krallte ich meine Finger in den Sitz und bekam kaum noch Luft vor Herzklopfen. Es war Sonntagnacht und verdammt wenig Verkehr, sonst wären wir längst auf ein entgegen kommendes Auto geprallt. Doch schon sah ich erneut Scheinwerfer auf uns zukommen.
    »Du brauchst dich nicht festzuhalten. Entspann dich! Es wird ganz schnell gehen.«
    Sein gleichgültiger Gesichtsausdruck kroch eiskalt über meine Haut. Der Wagen vor uns kam unglaublich schnell auf uns zu, sodass ich vor Angst kurz die Augen schloss.
    Mit Not wich der fremde Fahrer auf den anderen Fahrstreifen aus.
    »Marc! Ich will jetzt nicht sterben! Nicht jetzt und nicht so!«
    Entsetzt überlegte ich, was ich unternehmen konnte. Ihm ins Lenkrad greifen? Bei der Geschwindigkeit? Mit den Mauern neben uns? Irgendwie auf die Bremse treten? Oder beides auf einmal?
    »Denk doch mal an die anderen Menschen in den Autos«, beschwor ich ihn. »Da sitzen vielleicht Familien drin, mit Kindern! Die haben doch ihr ganzes Leben noch vor sich. Das kannst du nicht tun!«
    Er antwortete nicht. Ich fühlte mich so hilflos, so ausgeliefert. Rausspringen, auch daran dachte ich. Ihm eins überziehen und den Wagen übernehmen, doch das alles war zwecklos. Mir blieben nichts als Wörter, um mich und andere zu retten. Marc hatte genauso wenig Kinder wie ich. Was interessierten ihn da Kinder, die mit ihm drauf gehen konnten!
    »Willst du dich noch einmal schuldig machen?«, schrie ich ihn an. »Wenn du dich kaputt fahren willst, dann mach das alleine! Wie viele Menschen willst du denn ins Unglück reißen?«
    »Dann haben die es auch hinter sich.«
    »Aber sie hinterlassen Menschen, die trauern. Menschen, die

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