Notluegen
Mann bereits vier Zähne gekostet hat.
Das kränkt den Mann, der daraufhin das Thema wechselt und fragt, ob sie nicht doch Lust habe, die Tageszeitung zu lesen, um sich so mit Amerika bekannt zu machen.
Das will die Frau nicht. Was wiederum ihn davon überzeugt, dass sie diese schon gelesen und in der Zeitung das Bild ihres ehemaligen Liebhabers gesehen hat, den sie jetzt vermutlich zu vergessen bemüht ist, weil dieser sie schon vergessen hat.
Wie hast du in einem solchen Schweinestall wohnen können, sagt die Frau.
Denn in Abwesenheit ihres Mannes hat sie die beiden Zimmer weiter geputzt, den Kleiderschrank gelüftet und in der Küche alles weggeworfen, was schon vor langer Zeit hätte weggeworfen werden müssen, alles, was schon erstarrt und verrottet ist oder einen Geruch absondert.
Man sieht, dass seit einem halben Jahr keine Frau ihren Fuß hier hineingesetzt hat, sagt seine Frau.
Wie in einem Schweinestall hast du gelebt, wiederholt sie, und das mit dem Schweinestall kränkt den Mann weniger als eine Ehefrau, die sich einbildet, dass er in ihrer Abwesenheit ohne Frauen hätte sein müssen; der Küchenschrank müsse mit Kernseife gescheuert werden, sagt sie, und dort in der Küche war es nun Zeit für ihren ersten amerikanischen Streit, plötzlich und vielleicht ohne einen anderen Grund als dass die Frau müde war nach der Reise, oder vielleicht doch wegen dieser Zeitung mit dem Foto, die auf dem Küchentisch liegen geblieben war, ein Streit wie die Gewitter über Manhattan; und die Ehefrau hatte die Teller vom Spülstein genommen und, statt sie in den Schrank zurückzustellen, einen nach dem anderen auf den Boden fallen lassen, sie ganz einfach aus den Händen gleiten lassen, so dass Teller für Teller am Küchenboden in Scherben zerschellte, zwar amerikanische und nicht besonders teure Teller, die aber doch für ihn getaugt hatten, Teller, die während eines halben Jahrs in Einsamkeit nicht einmal angeschlagen waren; aber trotz dieser Verwüstung bewahrt der Mann seine Ruhe, woraus die Frau den Schluss zieht, dass auch die Teller im Regal über dem Ausguss denselben Weg gehen sollen; mit beiden Händen schaufelt sie diese heraus, so dass auch diese Teller auf dem Spülstein oder auf dem Boden in Stücke gehen, aber als die Frau dann auch noch hysterisch zu schreien beginnt, schlägt der Mann auf einmal mit der Faust auf den Tisch, mehr aus ungehemmtem Impuls als aus Überzeugung, nur selten unterscheidet sich die Hysterie ja bei Männern und Frauen.
Die Frau verstummt abrupt und versucht dann, das Weinen zu unterdrücken – was ihn endgültig davon überzeugt, dass sie die Tageszeitung gelesen haben musste –, während der Mann die Porzellanscherben auf dem Küchenboden betrachtet, ohne überhaupt etwas Besonderes zu sehen.
Mit der Hysterie verhält es sich ja wie mit vielem anderen hier im Leben, denkt er. Auch als Mann hat man seine Tage, wie jede beliebige Frau, allerdings eine Menstruation ohne Blut, die aber trotzdem regelmäßig jedes Wesen männlichen Geschlechts an die eigene Untauglichkeit und Hilflosigkeit erinnert, an einen Körper in Unordnung, der auf jede Weise demonstriert, wie wenig ein Mensch wert ist, wenn der Körper ihn im Stich lässt.
Aber trotzdem gibt es natürlich Unterschiede. Frauen haben keine Faust, um damit auf den Tisch zu schlagen. Jedenfalls keine, die der Tisch oder einer vom männlichen Geschlecht als Faust betrachten könnte.
Obwohl der Mann weiß, dass seine Frau diese Faust, die er immerhin zum Schlagen benutzt hat, wenn auch nur auf den Küchentisch, niemals vergessen oder ihm verzeihen wird.
Frauen, denkt der Mann weiter, sind nicht geschaffen, um zu schlagen, eher um Vorwürfe zu machen, zu weinen oder sich zu rächen. Die weibliche Hysterie ist grenzenlos, sie fährt einfach fort und fort, bis keine Teller mehr da sind, und niemand, weder Mann noch Frau, kann sie stoppen, denkt der Mann, nichts anderes als diese weibliche Hysterie selbst, indem sie sich vollständig erschöpft.
Es ist spät geworden. Früh am nächsten Morgen wird der Wecker wieder klingeln. Ein neuer Arbeitstag erwartet den Mann. Aber die Zeit, während seines kurzen Amerikabesuchs sein eigenes Warenlager zu inspizieren, wird sein sogenannter Freund nicht haben, morgen nicht und auch an keinem anderen Tag.
Es ist spät geworden, sagt der Mann zu der Frau. Du musst müde sein. Lass uns schlafen gehen.
Und da es nur ein Bett in der Wohnung gibt, ein viel zu schmales Bett für zwei, die
Weitere Kostenlose Bücher