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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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Aufmerksamkeit auf sich, wie wenn eine exotische Flagge im Wind für ein Land flattert, das man sonst vielleicht gar nicht bemerkt hätte.
    Die Frau lässt ihre Hände im Schoß ruhen. Nur um hin und wieder die Kaffeetasse zum Mund zu führen, hebt sie eine Hand über die Marmorplatte des Cafétischs, während der Mann ziemlich manisch mit seiner Linken immer wieder kleine Fetzen aus der Papierserviette neben der Kaffeetasse auf der Marmorplatte zupft und sie dann zu noch kleineren, ungleichmäßigen Kugeln aus weißem Papier rollt. Das ist eine Unart, die der Mann seit dem Teenageralter hat und die er erst seit dem Erwachsenenalter nicht mehr bekämpfte.
    Über die gemeinsame Freundin sagt die Frau plötzlich zu dem Mann: Teodora trinkt zuviel. Sie ist Alkoholikerin, und ohne Peter käme sie überhaupt nicht zurecht. Teodora würde untergehen. Aber Peter hält sie Gott sei Dank wie ein Korsett.
    Dann entschuldigt sich die Frau und verbessert sich.
    Sie meine Rettungsanker, nicht Korsett.
    Der Mann, der das Korsett dem Rettungsanker vorgezogen hätte, sagt, er verstehe Teodora.
    Die Freiheit ist entsetzlich, sagt der Mann. Nachdem sie eine Weile still dagesessen hat, fragt ihn die Frau, was er damit meine, dass die Freiheit entsetzlich sei.
    Ich brauche sie nicht, erklärt der Mann. Ich weiß nicht, was ich mit ihr anfangen soll.
    Daraufhin sitzt die Frau lange schweigend da und überlegt, wie er das eigentlich meint, was er über die Freiheit gesagt hat, die er nicht braucht, kommt aber zu keinem Ergebnis. Daraus zieht der Mann den Schluss, dass er das, was er gesagt hat, ausschließlich gesagt hat, um sich interessant zu machen. Dafür schämt er sich vor sich selbst, obwohl er sehen kann, dass die Freiheit, die er so nachlässig abgewiesen hat, auf die Frau einen großen Eindruck gemacht hat.
    Aber bevor er Zeit findet, das, was er gesagt hat und nicht meint, zurückzunehmen oder wenigstens in Frage zu stellen, blickt die Frau vom Tisch auf – es scheint, als hätte sie mit gesenktem Kopf seine Papierkugeln gezählt – und sagt, sie habe noch nie jemanden sagen hören, was der Mann gerade gesagt hat.
    Nein?
    Sie verdeutlicht: jedenfalls hat sie noch nie einen anderen Mann sagen hören, was er gerade gesagt hat.
    Männer pflegen ihre Freiheit über alles andere zu stellen.
    Ich nicht, sagt der Mann.
    Der Kellner geht an ihrem Tisch vorbei, wirft einen zerstreuten Blick auf die beiden Gäste, ohne zu fragen, ob sie noch etwas bestellen wollen. Aber der Mann sieht, dass der Kellner es geschafft hat, die Papierkugeln zu zählen oder immerhin zu entdecken, und so unmerklich wie möglich schiebt er sie mit der linken Hand zusammen, um sie in den Aschenbecher zu werfen, während die Aufmerksamkeit der Frau in eine andere Richtung gelenkt ist.
    Dann fragt die Frau, ob sie nicht vielleicht das Lokal wechseln sollten, hier sei es doch ziemlich zugig und der Kaffee nicht besonders gut, in dem Viertel ringsumher gebe es viel bessere Lokale, übrigens habe sie zufällig Schinken und eine Flasche Wein zu Hause.
    Die Frau wohnt auf der anderen Seite des Flusses, der gelbbraun und träge durch die Stadt fließt. Zu ihr nach Hause ist es so nah, dass sie sich entschließen, zu Fuß zu gehen. Auf der Brücke über den Fluss gehen sie nebeneinander, und in deren Mitte, es ist eine der ältesten in Europa, legt der Mann der Frau den Arm um die Taille.
    Sie lässt es geschehen, und so hat der Mann in gemächlichem Tempo und in einer Gesellschaft, die zufälligen Besuchern nur selten vergönnt ist, die Gelegenheit, sich mit dieser Stadt bekannt zu machen, die er von früher nur flüchtig kennt, und gerade so, wie sie sich an diesem Abend ausnimmt, wird die Stadt ihm im Gedächtnis bleiben, in genau diesem flammenden Abendlicht über Wasser und Hügeln und genau zu dieser Jahreszeit, auch lange nachdem alles, was er mit der Stadt hätte verbinden können, jede Bedeutung verloren hat.
    Ich wohne im dritten Stock, sagt die Frau, als sie die Haustür mit zwei Schlüsseln öffnet.
    Es zeigt sich, dass dem Haus ein Lift fehlt. Sie müssen bis ganz hinauf steigen, und durch die tiefen Fenster im Treppenhaus im dritten Stock kann der Mann über die Stadt hinausblicken, über ein Gewirr von Dächern mit Dachziegeln, Kirchtürmen und Turmspitzen, die meisten davon auf der anderen Seite des Flusses. In seiner eigenen Stadt sind es Schornsteine, die man bemerkt, und die Dächer dort sind aus schwarzgestrichenem Blech.
    Die Wohnung ist klein. Sie

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