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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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passte tatsächlich zu den eigenen Absichten des Mannes, auch wenn ihre Worte seine Eitelkeit verletzten, so dass er geantwortet hatte, keiner könne jemals im Voraus wissen, wohin seine Gefühle ihn trieben, leere und ziemlich verlogene Worte, das musste er zugeben, die aber immerhin die Frau dazu brachten zu vergessen, was sie selbst gesagt hatte, da sie sich sogleich eng an ihn schmiegte und anfing, seine Hände zu streicheln.
    Die Hände der Frau auf den seinen hatten dem Mann zu verstehen gegeben, dass er zu weit gegangen war. Er war zu aufrichtig gewesen. Die kleinste Übertreibung kann uns ja in Gefahr bringen, und sanft, aber bestimmt schob er ihre Hände von sich weg und beteuerte, auf ihn könne sie sich verlassen, auch er könne sich nichts anderes vorstellen als ein flüchtiges Abenteuer, weder mehr noch weniger, und mit ihren großen feuchten Augen, die ihn schon im Sperl an einen Hund erinnert hatten, der sein Bein an der erstbesten Hauswand hob, sah die Frau ihn mit einer Hingabe an, von welcher der Mann argwöhnte, sie gelte mehr diesen nur allzu menschlichen Regungen, die ja mit uns machen, was sie wollen, und zu denen er sich zunächst bekannt hatte, also Leidenschaft und Begehren, viel mehr als der aufopfernden Selbstbeherrschung, mit der er dann versucht hatte, von diesen Regungen Abstand zu nehmen.
    Meinst du wirklich, was du sagst, flüsterte die Frau, und der Mann wusste nicht, was er hätte antworten sollen, ohne sie zu enttäuschen oder sich selbst zu betrügen.
    Aber noch weniger wollte er sich in neue Widersprüche verstricken, so dass er, statt auf ihre Frage zu antworten, gesagt hatte, sie müssten sehr vorsichtig sein.
    Das stimmte ja. Aber vielleicht hätte er es nicht sagen sollen.
    Es war die Musik, die sie zusammengeführt hatte. Die Oper gab Leoš Janáˇceks Kátja Kabanová , aber die Frau des Mannes wollte fast nie in die Oper gehen, wie üblich war er allein da, der zweite Abonnementsplatz links von ihm war frei, und schon in der ersten Pause hatte der Mann die Frau entdeckt. Sie lehnte im Foyer an der Wand, in einem kurzen, schwarzen Kleid, in derselben Farbe wie die Fahnen, die über die Balustrade der Wiener Oper gehängt werden, wenn ein Tenor seinem lange verstummten Gesang ins Grab gefolgt ist.
    In der Hand hatte die Frau eine Zigarette wie ein Metronom hin und her bewegt, während sie sich im Zuschauerraum umsah, ob sie dort jemanden finde könnte, der ihr Feuer gab, und sogleich war der Mann herzugeeilt und hatte sie angezündet, die Frau hatte ihn mit Erstaunen angesehen und sich bedankt, und der Mann hatte gefragt, ob sie Janáˇcek mochte, selten mehr als einen Akt, hatte die Frau mit einem sanften Lächeln erwidert.
    Neben ihnen stand einer dieser Opernaschenbecher, die ja aussehen wie Urnen für verstorbene Sänger, nicht für Zigaretten oder Zigarren, sondern für jene, die wirklich sterben oder es zumindest Saison für Saison auf der Bühne mimen. Während sie rauchte und dem Mann zuhörte, hatte die Frau das Publikum betrachtet, das mit Essen und Trinken beschäftigt war, um sich für zwei weitere Akte mit einer komplizierten Handlung und einer Musik, die, obwohl sie bald hundert Jahre auf dem Buckel hat, immer noch in dem Ruf steht, modern und ungenießbar zu sein, zu stärken, und der Mann hatte gesagt, sie könnten die anderen Akte doch überspringen.
    So geschah es. Sie nahmen ein Taxi zum Café Sperl. Die Frau sagte, sie wohne ganz in der Nähe, und der Mann war nicht sicher, ob eine solche Nähe zu seinem Vorteil oder Nachteil gereichte, auch er wohnte ja im selben sechsten Bezirk, nur ein paar Häuserblocks entfernt, ganz in der Nähe des Westbahnhofs.
    Bereits an diesem Abend hatte der Mann unter dem Cafétisch seine Hand auf ihr Knie gelegt. Die Frau hatte eine Melange bestellt, die sie dann nicht austrank, aber nachdem der Mann sie berührt hatte, musste sie fast unmerklich auf dem Sofa tiefer gerutscht sein, denn bald lag seine Hand auf ihren Schenkeln, ohne dass der Mann sie dort plaziert hätte, und über dem Tisch sah die Frau mit ihren klaren Augen ernst in die seinen, als würde sie gerade mit diesem Blick alles aufnehmen, was er sagte, braune Augen, die nicht mit der geringsten Schattierung oder Bewegung verrieten, was gleichzeitig unter der Marmorplatte des Cafés vor sich ging, und diese unschuldige Frechheit hatte den Mann erregt, da sie viel mehr als eine Ermunterung war; alles, was er an diesem Abend sagte, hatte ja ausschließlich mit der
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