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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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Oper zu tun, mit Künstlern und ihrem Ruhm, aber diese Frau wirkte mehr an den Pausen als an der Kunst selbst interessiert, an dem, was darin geschah und nicht auf der Bühne.
    Erst als die Musik verstummt und der Vorhang gefallen war, konnte die Vorstellung ernstlich beginnen, erst da war es Zeit für sie geworden aufzuleben, eine Zigarette zu rauchen und sich umzusehen, und auch dort im Café Sperl hatte es den Anschein, als sei ihre Welt zweigeteilt, allerdings nicht mehr durch einen purpurroten Vorhang, sondern durch die weiße Marmorplatte des Tisches, oberhalb davon war alles für jedermann zu sehen, während darunter alles geheim und unsichtbar war, eine Unterwelt voller Gefahren und Leidenschaften, unter Kaffeetassen und Wassergläsern verborgen, und erst als der Mann aufhörte, über Musik und Oper zu sprechen, da er eingesehen hatte, dass nichts von alledem die Frau im Geringsten interessierte, sagte sie, ihr Mann sei Anwalt, all seine Zeit und Energie verwende er darauf, Verträge und Abkommen mit Paragrafen und umfassenden Formulierungen zu entwerfen, die bei Geschäftsübernahmen im Voraus jede Möglichkeit von Missverständnissen oder böswilliger Auslegung ausschließen sollten; der Frau zufolge war er ein großer Musikliebhaber, der aber mit Arbeit überhäuft sich fast immer in der Kanzlei oder auf Dienstreise befand, so gut wie nie in dem Opernhaus, das er fast genauso sehr liebt, wie er mich liebt, sagte die Frau des Anwalts. Nur Wagner kann er nicht leiden.
    Das stimmte. Ihr Mann war wirklich oft verreist, während sie selbst Zeit im Überfluss hatte, und auch dieser Überfluss war von dem Mann verursacht, so wie er sie ja auch mit allem anderen hier im Leben versah, ob sie es brauchte oder nicht. Aber gerade Zeit brauchte sie am allerwenigsten, und sie war bereit, beliebig viel davon mit diesem neuen Mann in ihrem Leben zu verbringen.
    Nach dem Abend im Sperl hatten sie angefangen sich zu treffen, bald zwei- oder dreimal die Woche, wenn auch nicht so oft, wie die Frau es gewünscht hätte. Anfangs suchten sie Seitengassen im Schatten mächtiger Kastanien auf, trafen sich in Cafés, deren Namen man sofort vergaß, aber bald waren sie mutiger, kehrten ins Sperl zurück oder verabredeten sich im Eiles, mit der Zeit auch im Hotel Astoria neben der Votivkirche, in der Sofaecke rechts vom Eingang, wo man einen Kaffee oder ein Glas Wein bestellen konnte, ohne an einem gedeckten Tisch zu Mittag oder zu Abend zu essen. Der alte Kellner musste geahnt haben, dass er durch eine solche Bestellung in eine geheime und vermutlich skandalöse Angelegenheit einbezogen worden war. Immer wenn er mit dem Kaffee zurückkam, hatte er ein verschwörerisches Lächeln auf den Lippen, wirkte verjüngt und leichter auf seinen platten Füßen als wie er den Raum verlassen hatte.
    Einmal beugte er sich herunter und flüsterte dem Mann ins Ohr, ob er ihm auf irgendeine andere Art zu Diensten sein könne, und nicht einmal die leichte Enttäuschung, als der Mann dieses Angebot ablehnte, gab ihm sein wahres Alter zurück oder minderte seine Zufriedenheit darüber, Zeuge von etwas Verbotenem zu sein.
    Und da die Wirtschaft des Landes eine Hochkonjunktur erlebte, die niemand erwartet hatte, jedenfalls nicht eine so lange und kräftige, kauften größere Unternehmen immer öfter kleinere auf, die während dieser Hochkonjunktur zahlreicher schienen als sonst, die Konjunktur war wie ein ersehnter Regen, der überall im Land kleine Unternehmen wie Pilze aus dem Boden schießen ließ, so dass sich der Anwalt meistens auf Reisen befand, irgendwo in Kärnten oder bis nach Vorarlberg, und während er seine Kunden in einem der besseren Hotels des Ortes zu Geschäftsessen traf, tischte seine Gattin zu Hause in der Theobaldgasse in Wien dem Mann ein Souper auf, und wenn der Anwalt sich nach einem langen Arbeitstag in sein Hotelbett begab, begab sich der Mann mit dessen Gattin in das der Eheleute, ein Doppelbett groß wie ein Vergnügungspark, und während der Anwalt in seinem einfachen Hotelbett das Licht löschte, brannte es in der Theobaldgasse noch immer, und der Weg vom Speisezimmer zum Schlafzimmer war wie bei einer Schnitzeljagd markiert mit den Schuhen, Strümpfen, dem Schmuck und der Unterwäsche der Frau aus feinster Seide, und wenn der Anwalt vermutlich schon eingeschlafen war, kam es vor, dass seine Gattin und der Mann wieder ins Speisezimmer zurückkehrten, um auszutrinken, was noch an Wein in den Gläsern war, und unterwegs
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