NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

sehr angemessen.“
    „Ich weiß sehr wohl
zwischen sachlicher Neugier und dem Willen zur Denunziation zu unterscheiden“,
antwortete er kühl. „Ich glaube, Ihr Ausharren hier zu fortgeschrittener Stunde
der ersten Art von Interesse zuschreiben zu können.“
    „Tatsächlich ist mir
noch einiges unklar“, fuhr ich daraufhin fort. Ich hatte nämlich in der
Zwischenzeit ein bisschen gerechnet. Ich sah ihn an, der immer noch müde
wirkte, wenn auch nicht mehr so abgespannt wie anfangs, als er von den
Außenar-beiten hereinkam.
    „Wie alt sind Sie?“
    Er verzog den Mund
zu einer spöttischen Grimasse: „Raten Sie mal.“
    „Ihrer äußeren
Erscheinung nach hatte ich Sie auf etwa sechzig Jahre geschätzt.“
    Er fixierte mich
scharf, kippte seinen Klaren herunter und forderte mich mit einer knappen
Kopfbewegung auf, seinem Beispiel zu folgen. Ich trank den zimmerwarmen
Schnaps, der fast nur nach Alkohol schmeckte. Es war kaum festzustellen, woraus
er gebrannt sein mochte. Jedenfalls war er sehr stark und erzeugte unmittelbar
eine Zunahme der Hitzeempfindung. Der Alte schenkte beide Gläser wieder voll
und lehnte sich zurück. Im Folgenden beobachtete er mich mit schmunzelnder
Anerkennung, ein-er Art wohlwollender Gleichgültigkeit.
    „Aber nach allem,
was Sie bisher erzählt haben, kann das eigentlich nicht sein. Sie sagten, Sie
seien von deren Zusammentreten an ein Mitglied der Planungskommission gewesen.“
    Er nickte.
    „Nun ist die
Kommission vor über fünfzig Jahren eingesetzt worden. Sie waren damals bereits
graduiert, demnach müssen Sie heute mindestens ...“
    „Ich bin 83.“
    Seine Augen hatten
einen wässrigen Glanz, wie man ihn bei Greisen des Öfteren sieht. Aber das
konnte auch von der Wärme und dem Alkohol kommen. Ansonsten wirkte er mehr als
einfach nur rüstig.
    „Sie haben völlig
recht“, unterbrach er mein Grübeln. „Als ich in die Kommission eintrat, war ich
31 Jahre alt. Das ist jetzt 52 Jahre her. Sie haben die Anlage im Pazifik
gesehen. Glauben Sie, so etwas kann man aus dem Boden stampfen? Schließlich ist
der Hauptreaktor seit zehn Jahren erfolgreich in Betrieb. Vier Jahrzehnte für
Entwicklung und Bau eines solchen Kraftwerks - bilden Sie sich nicht ein, dass
ich besonders viele freie Wochenenden hatte. Dass Sie mich äußerlich für
jugendlicher halten, schmeichelt mir, es lässt sich aber erklären. Die
führenden Wissenschaftler, und die meisten waren in der Tat deutlich älter als
ich, wurden genetisch manipuliert, um
sicherzustellen, dass sie die gesamte Durchführung des Projektes erleben
können. Seit zwanzig Jahren ist mein körperlicher Alterungsprozess gestoppt. Es
scheint sogar, dass sich die Epidermis ein wenig erholt und gestrafft hat. Sie
liegen mit Ihrer Annahme von 60 Jahren also gar nicht so schlecht. Als ich
tatsächlich sechzig war, heiratete ich übrigens meine zweite Frau.“
    Auch das musste ich
erst einmal verdauen. Ich kippte mechanisch den zweiten Schnaps herunter.
Diesmal war der Geschmack noch künstlicher. Ich vermutete in-zwischen, dass der
hochprozentige Fusel überhaupt nicht auf traditionelle Weise gebrannt, sondern
auf synthetischem Wege im Labor erzeugt worden war. Ethanol und Wasser.
    „Also spritzt sich
die Regierung und die wissenschaftliche Elite ins nächste Jahrhundert, während
die Bevölkerung mit Geburtenkontrolle und Euthanasieprogrammen im gleichen
Zeitraum von fünf Milliarden auf eine reduziert wird.“
    „Es wäre besser,
wenn die Menschheit sich auf hundert oder zehn Millionen reduzierte. Die
technischen und die politischen Probleme wären erheblich geringer.“
    „Zehn Millionen
ließen sich leichter beherrschen, wie? Man könnte sie in einer großen Stadt wie
Thule II im Blick haben. Kontrolliert von ein paar...“
    „Genzombies - war es
das, was Sie sagen wollten?“
    Er schien weit davon
entfernt zu sein, sich persönlich angegriffen zu fühlen. Im Grunde war das auch
nicht meine Absicht gewesen. Ich war etwas erhitzt und hatte mich hinreißen
lassen, laut zu denken.
    „Ich will nicht
darauf herumhacken, was Dr. Steffens vorhin sagte.“
    „Steffens ist naiv.
Sie haben ihn erlebt.“
    Er sah mich an,
wartend, fast lauernd. Wollte er provozieren, dass ich ihm ins offene Messer
liefe? Auch unter vier Augen waren politische Diskussionen alles andere als
gefahrlos. Die Wände konnten Ohren haben, und sein Einfluss war mit Sicherheit
immer noch beträchtlich. Er war sogar dabei, mich betrunken zu machen. Aber
obwohl ich