NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
hier, wo wir nun einmal sind, wenn wir hätten
geschehen lassen, was geschehen ist.“
Ich wollte noch mehr
über die Anlage herausbekommen, deren Funktionsweise mir bis dahin nur in
groben Zügen bekannt war. Schließlich saß ich dem Mann gegenüber, der an ihrer
Konstruktion beteiligt gewesen war. Ich musste seine Redseligkeit ausnützen.
„Was haben Sie
studiert?“, fragte ich. „Triebwerkstechnik?“
„Sehen Sie“, gab er
zurück, mehr resigniert als ungehalten, „das meine ich. Sie sind diplomierter
Naturwissenschaftler im Dienst der Union. Sie haben die Anlage besichtigt. Und
Sie fragen mich, ob ich Triebwerkstechnik studiert habe.“
„Das war nur so
dahingesagt ...“
„Gerade deshalb ist
es aufschlussreich.“
Er schenkte uns nach
und klickte mit dem Boden seines Glases gegen den Rand des meinen. Ich kam der
Aufforderung nach und kippte das entsetzliche Zeug hinunter. Wollte er mein
Gedächtnis vorsätzlich trüben oder sich selbst zu dem Mut ver-helfen, den er
benötigte, sich seinem Mitteilungsbedürfnis zu überlassen?
„Ich habe Kernphysik
studiert und über sehr spezielle Quantenvorgänge promoviert. Sie machen sich
sehr unvollkommene Vorstellungen von der Anlage im Pazifik, wenn Sie an einen
Raketenantrieb nach newtonschem Rückstoßprinzip denken. Mit einem Triebwerk,
und sei es mit dem gewaltigsten physikalisch denkbaren Photonentriebwerk, wäre
es unmöglich gewesen, die Erde in ihrer Umlaufbahn zu beeinflussen. Bei vollem
Schub hätte sich die Rakete in den Planeten hineingebohrt, ihn aber niemals in
nennenswerter Weise bewegt. Die Arbeit, die ich vor 52 Jahren veröffentlichte und
die zu meiner Berufung in die Planungskommission führte, wies nach, dass es
möglich ist, durch Prozesse im Inneren des Atoms, die im Wasserstoffplasma
eines thermonuklearen Reaktors vergleichsweise einfach zu synthetisieren und zu
beeinflussen sind, Gravitationswellen zu erzeugen. Die Anlage im Pazifik, um es
kurz zu machen, erzeugt Gravitationsschwingungen, wie ein Scheinwerfer
elektromagnetische Schwingungen erzeugt. Wir manipulieren und deformieren so
das Schwerefeld der Erde. Als vor etwa zweihundert Jahren bekannt wurde, dass
die Berechnungen über das Alter und die verbleibende Lebensdauer der Sonne
falsch waren, breitete sich eine kurzzeitige Panik aus, die genauso schnell
erlosch, wie sie aufgeflammt war. Erst die Aktivitäten zu Beginn des nächsten
Sonnenfleckenzyklus bewiesen, dass die Sonne
ihren Brennstoff verbraucht hatte und sich zu einem roten Riesen aufzublähen
begann. Dennoch geschah weitere hundert Jahre lang so gut wie nichts. Man war
überzeugt, es mit astronomischen Prozessen zu tun zu haben, deren Ablauf sich
über Jahrmillionen erstreckt, so dass kein akuter Handlungsbedarf bestünde.
Erst die enormen Strahlungsausbrüche, die anzeigten, dass das Leben auf der
Erde durchaus in absehbarer Zukunft gefährdet war, wurden Anlass zu ernsthafteren
Überlegungen. Einige Jahre vor meiner Geburt wurde eine vorläufige
Enquête-Kommission eingesetzt. Die Alternativen, die erwogen wurden, sind Ihnen
bekannt. Eine Evakuierung der Menschheit auf den Mars oder auf die äußeren
Planeten hätte nur einen geringen zeitlichen Aufschub, keine nachhaltige Lösung
bedeutet. Schließlich fiel die Entscheidung, die Anlage zu bauen. Man hatte
beschlossen, die Menschheit zu evakuieren - mitsamt dem ganzen Planeten. Einige
Wochen nach meinem Rigorosum trat ich in die Kommission ein und referierte über
die Möglichkeit, das Gravitationsfeld der Erde so zu beeinflussen, dass sie
unter der eigenen Trägheit aus ihrer Umlaufbahn um die Sonne, die bereits ein
wenig aufgedunsen war, herauskatapultiert wurde. Raumschiff Erde, ja, aber
vermutlich hätten sich die Untergangsfanatiker früherer Jahrhunderte nicht
träumen lassen, auf welche Weise ihre sehnsüchtige Negativutopie einmal
Wirklichkeit werden würde. Die Anlage wurde gebaut und vor zehn Jahren in
Betrieb gesetzt. Es war das sogenannte Ereignis, dem wir eine neue Zeitrechnung
zu verdank-en haben. Im kompliziertesten Manöver, das Menschen jemals
durchgeführt haben, wurde unser Planet am Mond vorbeigesteuert, der in die
sterbende Sonne stürzte. Wir haben dabei Schwung aufgenommen und die Erde auf
einen Kurs gebracht, der sie aus dem Planetensystem hinaus und auf eine
Umlaufbahn um Alpha Zeti, den nächstgelegen stabilen Stern, bringen wird. Bald
nach dem Abkoppeln setzte die Abkühlung ein, die im Volksmund, inspiriert durch
die Reaktoren, aus
Weitere Kostenlose Bücher