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NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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und sich
die Liste der Opfer heruntergeladen. Viele Tausend Namen. Fast wäre auch meiner
darunter gewesen.“
    „Sie waren beim
Bruch der Nordwestlichen Stelze dabei?“, juchzte Ricarda auf. Sie knotete die
geröteten Hände ineinander und zerrte an den verschränkten Fingern, dass die
Knorpel weiß hervortraten.
    „Ich leitete die
Maßnahmen zu Aufrechterhaltung des Betriebs.“
    Ein einzelnes Gelenk
knackte.
    „Sie werden sich
vermutlich nie Gedanken darüber gemacht haben, aber es dürfte Ihnen allen
theoretisch klar sein, dass diese Anlage nicht abgeschaltet werden konnte und
bis heute nicht außer Betrieb genommen werden kann. Bei laufendem Hauptreaktor
musste die Stelze evakuiert und stabilisiert werden. Letzteres so, dass sie die
vielen Jahrzehnte, die wir noch auf diese ingeniöse Maschinerie angewiesen sein
werden, übersteht.“
    „Aber die Verluste
müssen doch entsetzlich gewesen sein.“
    Ricarda vergrub die
Unterarme zwischen den baumwollenen Schenkeln.
    „Fast die gesamte
Besatzung des Sektors kam bei dem Bruch ums Leben. Die wenigsten von ihnen
wurden später identifiziert oder überhaupt gefunden. Sie waren verstrahlt oder
verbrannt, oder sie starben zwischen den Stahlstreben, die sich unter dem
eigenen Druck ineinander schweißten. Dennoch musste ich sofort daran gehen, die
weitere Deformation zu stoppen, die die gesamte Anlage destabilisiert hätte.
Die Folgen hiervon vermögen wir uns alle nicht auszumalen. Unter Bedingungen,
wie sie einst in der Schmiede der Titanen herrschten, haben wir Millionen
Tonnen Stahl in die zertrümmerten Stützen eingezogen. Ein Großteil der
Außenarbeiten hatte unterhalb des Wasserspiegels stattzufinden. Die Taucher
sind krepiert wie die Heringe. Sie ging-en in den Tod wie zu einem
Betriebsausflug. Eine Hundertschaft nach der anderen musste ich in die Schächte
kommandieren. Aber es gab keine Alternative.“
    „Wie kam es, dass
Sie mit dieser Aufgabe ...“
    Ricarda musste steil
nach oben sehen, denn der Alte gab seinen Sitz an der Bar auch weiterhin nicht
auf.
    „Nun, wir lebten
damals im Wohntrakt der Wissenschaftler, die für den Bau und Betrieb der Anlage
verantwortlich waren. Glücklicherweise befand sich unser Appartement einige
Kilometer über der Bruchzone, so dass wir die Katastrophe überlebten. Pâ, meine
älteste Tochter, war damals neun Jahre alt. Sie hat seitdem nicht mehr
gesprochen.“
    „Sie erlitt einen
Schock?“
    „Sie verstummte
unter dem Eindruck der traumatischen Ereignisse. Organisch ist sie ganz gesund.
Sie war bis dahin eine eifrige Geschichtenerzählerin.“
    Im Kamin sackte die
Glut in sich zusammen und prasselte dabei auf. Allmählich wurde es etwas
kühler. Zumindest ließ die schlimmste Hitze nach.
    „Als es uns gelungen
war, die Stütze zu stabilisieren und die Funktion der Anlage langfristig
sicherzustellen, demissionierte ich. Wir übernahmen diese Station, die damals
noch die einzige im Umkreis von über tausend Kilometern war. Wai, meine Frau,
schenkte mir das zweite und das dritte Kind.“
    „Und jetzt liegt sie
unten und behütet ihren Schlaf.“ Ricarda stand etwas mühsam auf. „Ich glaube,
ich werde ihrem Beispiel folgen. Meine Herren, ich wünsche Ihnen eine gute
Nacht.“
    Ihr farbloser Blick
glitt an mir ab. Vielleicht hätte ich mit ihr nach unten gehen sollen.
Vermutlich hätte ich es getan, wenn sie mich dazu aufgefordert hätte. Aber sie
verabschiedete sich mit unterschiedloser Indolenz von uns dreien. Es ist
schwer, im Nachhinein zu rekonstruieren, wie man zu einer bestimmten
Entscheidung kam. Vor allem, wenn es weniger eine bewusste Überlegung als ein
instinktives Geschehenlassen war. Die Erzählung des Alten ging mir im Kopf
herum. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er noch nicht alles gesagt hatte.
Aber vielleicht war es auch die Angst davor, abgewiesen zu werden, wenn ich
jetzt mit ihr hinunterginge. Obwohl ich sehr müde war und der Grog mir in den
Kopf zu steigen begann, war mir der Gedanke unerträglich, im Dunkeln neben ihr
zu liegen, auf gleicher Höhe scheinbar, aber mit dem meterbreiten Abgrund
zwischen uns. Ich blieb sitzen.
     
    Lange schwiegen wir.
Der Alte drehte sich nicht wieder ab, sondern starrte von sein-em erhöhten Sitz
auf unseren Tisch. Steffens sah mich mit fader Kameraderie an, konspirativ
fast, als wären wir Verbündete. Ich wich seinem Blick aus. Seine Stimme war
schnarrend, wie das Organ eines unzufriedenen Vorgesetzten.
    „Was war Ihre
Aufgabe? Sie sagten, Sie seien in

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