NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)
zuckte mit den Achseln.
Drehte sich wieder zu der Tür und stieß sie mit spitzem Zeigefinger an. Die
Scharniere knarrten leise. Die Tür schwang auf. Paul trat an Reenas Seite, ihre
Hand noch immer in seiner, was sich in der nächsten Zeit auch nicht ändern
würde, wie ihr ein leichter Druck seiner Finger verriet.
„Was,
wenn ich nicht mag, was ich sehe?“ murmelte sie.
Einen
Schritt weiter standen sie in einem weißen Flur. Von hier aus gingen zwei Türen
im Erdgeschoß ab, eine Treppe schwang sich in das erste Obergeschoß hinauf, wo
sich ein identischer weißer Flur befand, mit identischen weißen Türen, ganz so
wie im Erdgeschoß. Die einzige Unterscheidung waren die römischen Ziffern, die
jede Tür kennzeichneten.
„Es sieht ganz anders aus als vorhin. Nordischer. Wo ist der ganze altmodische
Plunder hin?“ Reena runzelte ihre Stirn.
„Es
ist jetzt dein Haus. Es ist geprägt durch deine Vorstellungen und Gedanken.
Hier kann und wird alles passieren, was du willst. Oder was du bist.“ Paul
klang
ernster als er vorhin ausgesehen hatte.
Reena
boxte ihn in die Seite. „Lach doch wieder. Bitte. So machst du mir Angst.“ Er
zwinkerte ihr zu.
Dann
reckte Reena den Hals und spähte auf die Nummern über den Türen. I. Wieder
einmal die I. Ich bin langweilig, dachte sie bei sich. Durch und durch
langweilig, und deswegen fange ich auch am Anfang an und nirgendwo sonst. Sie
stiefelte los und zog Paul mit sich.
Als
die Tür aufschwang, sah sie in ein Kinderzimmer hinein. Die Wände waren mit
einer braun gebäumten Tapete beklebt, unter einer Schräge stand das Bett,
90x200 cm, abgenutztes Kieferfunier mit einem passenden Nachttisch. Ein paar
Stofftiere lagen darauf, von denen nur eines ins Auge stach: ein alter
abgenutzter Stoffaffe mit einer kapitalen Kopfwunde, aus der rote Watte
wucherte.
„Wieso
hast du mir das angetan?“ bollerte es hinter Reena und Paul los. „Wieso! Hast!
Du! Mir! Das! Angetan!?“ Ein Kind drängte sich an Reena und Paul vorbei, die
Hände fest auf die Ohren gepresst. „Somewhere over the rainbow, lalala“
kreischte es, dann sprang es auf das Bett, zog die Decke über den Kopf und sang
unter den
Daunen weiter. Verspätet tauchte eine Hand wieder aus dem Deckenwust auf,
griff den Affen am Bein und zerrte ihn in die Dunkelheit.
Reena
sah dem Schauspiel entsetzt zu. Sie hatte den Affen längst erkannt. „Gleich“
flüsterte sie, „wird eine mittelgroße korpulente Frau an uns vorbeihetzen. Sie
wird auf Füßen daherkommen, die in Nylonstrümpfen stecken und sie wird einen
Holzschuh über dem Kopf schwingen.“
Paul
drückte ihre Hand leicht. „Und dann?“ fragte er leise.
„Dann
wird sie mit dem Schuh schlagen“, gab Reena zurück „Sie wird auf die Decke
einschlagen, dorthin, wo sie den Kopf vermutet.“
„Tut
es weh?“
„Ja.“
Einen Moment später schoss es wie eine Kanonenkugel an den beiden vorbei, der
Schuh schwang wie ein Pendel auf die Decke des Kinderbettes hinab. Der
erste Schlag traf. Der zweite Schlag traf. Paul stieß Reena an. „Soll sie
weiter-machen?“
„Nein.“ Reena stand starr und still in den Türrahmen gepresst, dort wo sie sich
eingepasst hatte, als die Frau an ihr vorbeigestürmt war.
„Dann
tu etwas.“
„Und
was?“
„Was
hättest du denn damals gern gemacht?“
„Ich
habe diesen Schuh gehasst“, antwortete Reena. „Ich hätte ihn gern in Flamm-en
aufgehen sehen.“
Die
Frau kreischte mit einem Mal und ließ den Schuh fallen. Flammen schlugen hoch,
danach stank es, und ein Häufchen Asche wurde auf dem Teppich sichtbar.
„So
ungefähr?“
Reena
nickte. „Genauso. Hast du das gemacht?“ Sie sah Paul fragend an.
„Nein“,
gab er freimütig zurück, „Dein Haus, deine Bilder, deine Gedanken. Das bist
alles du.“
Reena
sah in das Zimmer, in dessen Mitte die Frau stand. Ratlos, mit leeren Händen,
barfuß. Der Gesang unter der Decke war verstummt. Vorsichtig schob sich das
Kindergesicht wieder hervor. Fragend sahen beide zu Reena, so als ob sie nicht
wüssten, was sie jetzt machen sollten. Reena sah hilflos von einem zum anderen.
Dann zeigte sie auf die Mutter und sagte laut: „Raus hier!“ und die Mutter
verschwand. Reena schloss die Tür hinter sich.
„Du
hast mich reingelegt“, sagte sie zu Paul und starrte auf den Boden. Mit der
Zehenspitze malte sie einen Kringel auf die weißlackierten Holzbohlen. „Das
wäre nicht nötig gewesen.“ Sie versuchte sich von ihm zu befreien, aber er ließ
ihre Hand nicht
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