NOVA Science Fiction Magazin 20
über ihr
schwebte und weitaus größer war als er selbst?
Die
tief hängenden Wolken waren so dicht, dass sie keine zehn Schritte weit zu
blicken vermochte. Sie lauschte nach einem fernen Scharren oder dem Schlagen großer
Schwingen, doch der Nebel schluckte alle Geräusche. Ratlos verweilte sie noch
eine Weile am Hang, dann zog sie die Riemen ihres Rucksacks stramm und begann
mit dem Aufstieg.
Der
Hügel, auf dem das Sammler-Kollektiv arbeitete, gehörte zu den auffälligsten
Landmarken des Hochlands. Alle umliegenden Berge überragend und auf drei Seiten
von steilen Felswänden umgeben, führte der einzige sichere Aufstieg über einen
schmalen, steilen Grat an seiner Südflanke. Auf halber Höhe zum Gipfel legte
Ninive eine Verschnaufpause ein. Seit Jahren spielte sie bereits mit dem
Gedanken, eine von Makula-Tieren getriebene Seilbahn zu errichten und zwei der
Kreaturen zu Gondeln umzubauen. Dass es möglich war, sie zu domestizieren,
wusste sie, doch für die Umgestaltung der Makulas benötigte sie die Hilfe eines
Ingenieurs.
Ein
dumpfes Brummen und der Geruch von verbranntem Öl ließ sie aufhorchen. Als
hätten sie ihre Gedanken gelesen, tauchte eine Herde von Makula-Tieren dampfend
und schnaubend aus dem Nebel auf. Still beobachtete Ninive, wie Dutzende der
Maschinen an ihr vorüber zogen. Sie kamen ihr dabei so nah, dass sie ihre
Leiber hätte berühren können, sobald sie eine Hand ausgestreckt hätte. Der Zug
der Herde wurde begleitet vom steten Brummen, Klicken und Rasseln schwerer
Ketten und Kolben, die in den Unterleibern der Makulas arbeiteten. Sie trieben
das gewaltige Zahnrad an, das ihnen erlaubte, selbst die steilsten Hänge zu
erklimmen. Ebenso wie bei Cutter wusste Ninive nicht, ob die Makulas sie
tatsächlich so wahrnahmen wie sie die Tiere oder ihre Umgebung mit Echolot und
Radar erfassten. Tatsächlich hatte sie sich noch nie ernsthaft damit befasst,
womit Lux, Guss oder Clogger sie eigentlich ansahen, denn sie hatten weder
Augen noch Objektive. Womöglich benutzten sie Ultraschall, um sie wahrzunehmen
und sich im Haus zu orientieren.
Aus
dem Nebel tauchte überraschend eine zweite Gruppe von Hochlandbewohnern auf;
eine Rotte gedrungener, antennengespickter Bergscheller, die den Weg der
Makulas kreuzten. Eine Herde schob sich durch die andere, ohne dass eines der
Tiere abgedrängt wurde oder ins Straucheln geriet. Dutzende von Maschinentieren
zogen vor und hinter Ninive vorüber, die einen nach Osten, die andere nach
Norden strebend. Nachdem beide Herden im Dunst verschwunden waren, markierten
Dutzende dunkler Furchen ihre Wege.
Als
Ninive den Gipfel erreichte, war ihre Kleidung kalt und klamm von der
Feuchtigkeit, die sie aus den Wolken aufgesogen hatte. Dafür war die Sicht
nicht mehr ganz so schlecht wie noch zuvor am Hang. Die Szenerie um sie herum
wirkte, als hätte ein Riese seinen Würfelbecher geleert. Über die gesamte
Hügelkuppe verteilt standen in Abständen von wenigen Metern zueinander
hüfthohe, quaderförmige Apparate. Jeder der Kollektoren verfügte über eine
massive Luke, die nahezu seine gesamte Frontpartie einnahm und die
Konglomerationskammer verschloss, darüber eine Schaltleiste zum Einstellen der
Parameter. Gekrönt wurden die Apparate von jeweils zwei meterhohen
Blitzleitern, die an riesige Geißelantennen erinnerten.
„Hallo
Ivi“, kam es von überall her, als sie durch die Reihen der Kollektoren schritt.
„Wie geht’s dir, Ivi?“ – „Dreh mich ein Stück nach links.“ – „Dreh mich ein
Stück nach rechts.“ – „Stell mich näher zu Sissam.“ – „Putz mir die Fußzimpeln“,
und so weiter. Lediglich einer der Kollektoren schwieg beharrlich und tat so,
als würde er Ninive gar nicht bemerken. Täuschen konnte er sie dadurch jedoch
nicht. Sie fühlte, dass er keinen Defekt hatte und ihm ihre Anwesenheit
durchaus bewusst war. Zwischen ihr und allem, was sich in ihrem Land bewegte,
existierte eine empathische Bindung. Allerdings bestand sie nur zu Dingen, die
Ninive eigenhändig belebt hatte. Seelenbastarde wie Flodd oder das seltsame
Genetrix-Tier, die von anderen Wandlern erweckt worden waren, ließen diese
Bande hingegen vermissen.
Ninive
gestaltete ihre Kontrollrunde so, dass sie den schweigsamen Apparat als letzten
erreichte. Früher hatte das Kollektiv aus fast dreißig Sammlern bestanden, doch
sechs von ihnen waren im Laufe der Jahrzehnte während heftiger Gewitter
irreparabel beschädigt worden oder sogar explodiert.
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