November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
meine Backe? Bottrowski, Neukölln, 2. Kompanie.«
Und lachte mächtig und ließ die Hand nicht los: »In Straßburg, am Wasser! Mensch, das hast du dir draußen nicht träumen lassen, daß wir uns hier wiedersehn, und so, ich bin nischt, und du bist nischt.« Und umarmte seinen ehemaligen Kompanieführer.
Heiberg blieb nichts übrig, als sich von seinem Untergebenen von der Arrasfront unterfassen und den schmalen Staden entlangziehen zu lassen, bis eine Schifferkneipe die Schritte Bottrowskis hemmte. Er schnüffelte, sie stiegen die Stufen herunter. Es saßen ein paar Leute da, die bald verschwanden. Sie setzten sich in den äußersten Winkel des Kellerlokals, Bottrowski stieß ihn an: »Die sind vor uns ausgerückt, Hiesige, wollen sich mit uns nicht bedrecken.« Und er erzählte seinem ehemaligen Kompanieführer, der sich widerstandslos duzen ließ: »Mit dreien habe ich mich gestern duelliert. Einer behauptete, ein Elsässer versteht mehr von Kindererziehung als ein Berliner. Weil wir nicht fein genug und nicht fromm genug sind. Ich habe ihn aufgefordert, das nachzuweisen. Er drückte sich. Da waren wir drei, die im Spital gelegen haben, und haben unsere Bierseidel und nachher den ganzen Tisch genommen, Heiberg, und zugeschlagen wie vor dem Feind.«
Und plötzlich nach ein paar Schluck Kaffee war er ernst: »Was sagst du zu unserm Schlamassel. Mensch, wir haben zu hoch raus gewollt, das rächt sich. Ich hab’ zu Hause im Urlaub schon immer gesagt: die sollen die großen Töne lassen, die andern können och was.« Heiberg: »Wie kommt man am raschsten nach Berlin?« Der Soldat schüttelte den Kopf, sehr energisch: »Nach Haus, wozu? Glaubst du, ich lass’ mir hier rausgraulen? Von die noch lange nicht. Nach dem Mist zu Hause habe ich keine Sehnsucht. Etwa du. In Berlin ist dicke Luft, rat’ ich dir, besonders für Offiziere.«
Als sie stumm getrunken hatten, fing Bottrowski an, seinem Leutnant flüsternd zu erzählen, was sich hier ereignet hatte. Er stand bei einer Genesendenkompanie: »Da haben sie am vorigen Donnerstag in der Stadt losgelegt. Du denkst, Revolution? Nicht in die Tüte. Gegen uns! Gegen die Deutschen. Da sind wir zu Hause geblieben und haben uns die Sache erst mal gründlich überlegt und was wir machen wollen, wenn das so weitergeht. An uns haben sie sich nicht rangetraut, aber an Zivil und Geschäfte. Da hat sich denn nu drüben in Kehl ein Soldatenrat gebildet, und am Neunten hatten wir ihn auch. Da waren die Elsässer Neese.« Und drückte seinen kleinen Leutnant an sich, den mir keiner schupsen soll: »Bist wohl auch ganz zufrieden, Mensch, daß wir die Bande heruntergeholt haben, Etappenschweine und so weiter.« Und der Mann lehnte sich ernst auf seinem Schemel zurück: »Mit der Mörderei ist es nun aus, du! Ihr habt den Krieg gemacht, wir machen Frieden. Paß Achtung, wir machen ihn. So wahr ich Deckenmaler bin.«
Nichts verstand Heiberg, er erinnerte sich der Plakate draußen, der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Thron zu entsagen.
»Am Sonnabend, am Neunten waren wir alle auf der Straße. Sergeant Rebholz, ein tipptopper Junge hat den Laden geschmissen. Telephoniert an alle Regimenter, sollen Soldatenräte bilden, ging wie am Schnürchen. Bloß die 15. und 19. Pioniere machten Sperenzien. Dann um zehn wir aufs Rathaus, bei Peirotes, der hier der neue Bürgermeister ist, Sozialist. Er soll einen Arbeiterrat bilden. Und alle Mann in einem feinen Aufzug, rote Fahne voran, er im Auto, nach dem Kleberplatz.«
Heiberg bestellte einen Kirsch für jeden, es ist mein letztes Geld, ich habe mich geschämt, es Hanna zu sagen.
»Und dann auf die Polizei, die haben wir abgesetzt. Und Patrouillen in die Gefängnisse.« Bottrowski legte beide harte Hände auf den Tisch, ein kräftiger vollwangiger Mann, seine Trunkenheit war verflogen, ernst, ohne Haß orientierte er seinen ehemaligen Vorgesetzten: »Ich war mit meiner Knarre an drei Stellen dabei. Die Gefängniswärter haben gesagt, es gibt gemeine Verbrecher dazwischen, Diebe, schwere Körperverletzung. Da hab’ ich gesagt: jetzt ist Amnestie. Jeder König hat an seinem Geburtstag das Recht, Leute frei zu lassen. Soviel Recht haben wir auch. Und sie sollen das Maul halten. Ist keine Maus drin geblieben. Wir haben ihnen auf der Polizei auch alle Geheimpapiere abgenommen. Da werden manche, die hier sind, noch bitter dran zu kauen kriegen.«
Heiberg, der klein neben seinem ehemaligen Gemeinen saß, dachte: vielleicht ist es
Weitere Kostenlose Bücher