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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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er den Wagen eingefahren hatte, durch die Hintertür in die Apotheke gegangen. Er hatte die Vordertür, die der Besitzer offenließ, geschlossen und hinter dem Ladentisch die Schuhe gewechselt. Er blieb, während er seinen Schafspelz an den Riegel hing, in Gedanken stehen; der Offizier saß noch auf der Bank neben ihm, er hatte die Nacht oben im Haus im Bett eines kranken Gehilfen geschlafen, nachher wird Hanna kommen und sich erkundigen. Und schon kam ihm ein Gelüste, und es trieb ihn, er mußte rasch die kleine Wendeltreppe hinaufgehen in das Zimmer, das der andere verlassen hatte. Es war ein schmaler freundlich möblierter Raum, der Bettvorleger noch unordentlich beiseite geschoben, das Bett zerknüllt. Der kleine Provisor trat in Filzschuhen ein, schloß die Tür und schnüffelte im Raum. Er setzte sich auf das Bett. Von unten tönte die Stimme des Apothekers: »Das ist klar und eindeutig und der Welt seit bald fünfzig Jahren bekannt.«
    Er legte die Hände unter die Bettdecke. Das Bett war warm. Hannas Geliebter. Das waren die beiden. Seine Hände nahmen die Wärme an. Mit seinem Raub schlich er heimlich heraus.
    Hanna, stolz, schlank trat in den Laden, nachdem sich die Menge verlaufen hatte, sie flog auf den Provisor zu, der an der Kasse Eintragungen in das große Buch machte. Er errötete stark, als er sie sah. Sie flüsterte: »Und was hat er Ihnen gesagt?« »Wir haben uns nicht unterhalten.« »Nicht? die ganze Fahrt? Er war, wie war er denn?« »Ich kenne den Herrn nicht.« Sie zog die Augenbrauen zusammen: »Das – ist alles, was Sie mir zu sagen haben?« »Er ist am Broglie abgestiegen.«
    Sie standen stumm, den Ladentisch zwischen sich (das warme Bett oben). »Das weiß ich schon.« Sie neigte sich vor über den Tisch, hauchte ihm ins Gesicht: »Du hättest dir nichts vergeben, wenn du etwas freundlicher gewesen wärst!« Und schlank und straff unter dem schwarzen Federkragen hinaus.
    Er blieb noch eine Weile am Ladentisch, ihr gegenüber, die verschwunden war – bis eine junge Frau stürmisch eintrat wie eben Hanna, und ein Wurmmittel für ihr Kind verlangte. Und gleich hinter ihr ein schlaublickender gewöhnlicher Mann in Zivil, mit hohen militärischen Ledergamaschen, die ganz neu aussahen. Er bot dem Provisor aus einem Zeitungspaket sechs neue Bruchbänder zum Kauf an, drei Mark das Stück, aber sofort zuschlagen. Der lange Apotheker näherte sich sofort und verhandelte leise mit dem Mann am Schaufenster. Er rief dem Provisor zu: »Jakob, bitte, für elf Uhr den Digitalisdekokt, er steht über der Flamme.« Der Provisor eilte ins Laboratorium.

    Am Paradeplatz vor dem Hotel standen nur wenig Leute. Man hörte Musik. Sofort öffneten sich wie auf ein Zeichen die Fenster, Leute in Hut und Mantel blickten hinaus, sie traten auf die Balkons neben dem Hotel, und links neben dem Café und im Hause der Buchdruckerei, wo der »Generalanzeiger« herauskam. Man hörte das Pauken der Musik und eine Signaltrompete, jetzt schmetterte und trommelte es aus einer engen Straße hervor, dabei das Johlen und Brodeln einer Volksmasse, und nun liefen aus der Seitenstraße die ersten Jungs und übermütige junge Männer mit Kinderfahnen. Der Platz war rasch von Menschen überflutet, sie kamen aus anderen Straßen hervor, und jetzt schallte und bumste die Musik, die den Hohlweg verlassen hatte, auf dem schlauchartig langen Platz, von Beifallklatschen begrüßt. Winken aus den Fenstern mit Taschentüchern, Hüte- und Mützeschwenken. Der Platz war für Musikdarbietungen nicht eingerichtet. Es gab ein Echo und Wiederecho, man hörte das Krachen der Pauken dreimal, die Musik wurde wie bei einem Kanon zweimal wiederholt und verfolgt, das steigerte den Tumult und amüsierte.
    Unter dem Krachen und Wiederkrachen ziehen Haufen von Soldaten auf den sonnigen Platz. Es gibt kleine einstökkige Häuser und höhere mit roten Schindeldächern, das Hotel und die Buchdruckerei sind breit, vierstöckig, grau mit flachem Dach. Auf diesen beiden Dächern bewegen sich Männer und schwenken rote Fahnen. Vier liegen oben in der Buchdruckerei auf dem Bauch und suchen ein großes rotes Fahnentuch an der Häuserfront herunterzulassen und oben anzunageln. Während aber zwei klopfen, hat sich unter dem Tuch im vierten Stock ein Fenster geöffnet. Man sieht, wie der Fensterflügel das Tuch vorschiebt, jetzt rafft es ein Arm beiseite, man sieht einen erregten alten Herrn, dem der Arm gehört, nach oben blicken und empört heraufdrohen. Der Herr

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