November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
alten napoleonischen Adler. Auf der Treppe bildeten die bisherigen Angestellten und Beamten ein ernstes Spalier. Wir sahen korrekte und etwas trübe Personen. Sie verstanden, sich sehr tief vor dem neuen Herrn zu verbeugen. Wir mußten durch ein Dutzend Räume und kamen schließlich in den Salon. Die Vitrinen ausgeleert. Einige unserer Offiziere und Beamte warteten da. Mirman gab Befehl, den Exgouverneur der Deutschen, der sich im Haus befand, zu benachrichtigen, daß er ihn nunmehr zu der erbetenen Audienz erwarte. Was, meine lieben Freunde, stellte ich mir nun vor, nach diesem Krieg der fünfzig Monate, nach den ungeheuren Schlachten, Verwüstung und Brand, nach dem ganzen unbeschreiblichen Vorgang, durch den die Welt in Bewegung gesetzt wurde und bei dem sie fast in Flammen aufging, was dachte ich, wer würde nun erscheinen? Ich dachte: Der jetzt kommt, diese hochgestellte Persönlichkeit der feindlichen Macht, Vertreter des Kaisers an einem wichtigen Platz, wird sich finster, vielleicht stumm nähern. Es wird schwer sein, ihm den Mund zu öffnen. Man wird manchmal zurückfahren vor seinem zornigen, schmerzerfüllten und hassenden Blick. Man wird den bittern Ausdruck des Besiegten sehn, dem der Dolch weggenommen ist und der die Hände gebunden auf dem Rücken trägt.«
Er pausierte, rückte an seiner Perlnadel in dem schwarzen breiten Schlips, eine Andeutung von Lächeln um Mund und Augen: »Einer unserer jungen Literaten beschrieb einmal den Auftritt einer berühmten, nicht mehr jungen Schauspielerin in der Rolle der Athalia: wie man sie in einer goldenen Tragbahre unter einem Baldachin auf der Bühne absetzt, wie sie sich erhebt. Gott, staunt man, sie kann noch stehn. Sie bewegt sich – sie kann noch gehn. Sie öffnet den Mund – sie kann noch sprechen. Rasender Beifall, ein voller Erfolg.« Die Hörer schmunzelten. »Wir sitzen also. Und da tritt herein, statt eines vom Blitz Gefällten, ein großer trockener Herr, mit Brille, ein Mann von etwa sechzig, er grüßt zeremoniell nach beiden Seiten und setzt sich Mirman gegenüber an die Tafel. Sie müssen nun wissen, daß vorher, beim Einmarsch der Truppen in Metz, ein französischer Stabsoffizier ordnungsgemäß dem kaiserlichen Gouverneur in der Festung mitteilte, daß seine Funktion erloschen sei, worauf der General Maudhuy Mirman in dem Haus installierte, und Mirman erlaubte sich bei Antritt seines Amtes etwas Selbstverständliches, sogar Pflichtgemäßes: er ließ ein Bild des Kaisers, das noch an der Wand hing, von französischen Soldaten abnehmen. Dadurch fühlte sich der merkwürdige Herr Baron gekränkt und beklagte sich bei französischen Offizieren über Ungehörigkeiten, Provokation. Nun fing Mirman, als sich der Exgouverneur des Kaisers ihm gegenübersetzte, mit der Erörterung dieses Zwischenfalls an. Er sagte maßvoll: von Provokation und Ungehörigkeit könne man wohl kaum sprechen. Es liegt doch nur das eine vor, daß Sie das Bild in einem Haus gelassen haben, das nicht mehr das Ihre war. Wozu der Baron schwieg. Das Kinn streckte er hoch in die Luft, das Gesicht war sehr blaß. Auf eine so einfache und maßvolle Antwort war er nicht gefaßt gewesen. Völlig unerwartet machte er eine Verbeugung, als wenn ein Taschenmesser zusammenklappt. Das heißt in der Aktensprache: zur Kenntnis genommen.
Mirman weiter. Er hielt seinen ruhigen wohlwollenden Ton durch. Er rechnete es, sagte er, dem bisherigen Gouverneur zugute an, daß er, entgegen den Gepflogenheiten anderer Deutscher, gewisse Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und dem deutschen Militär gemildert habe. Dies sei auch der Grund, weshalb er sich veranlaßt gesehen habe, dem Herrn Baron eine Audienz zu gewähren. Er biete ihm an, ihm für seine Abreise Erleichterungen zu verschaffen. Worauf sich der Baron wieder mit jenem Ruck verbeugte, und nun begann etwas Phantastisches. Sie werden es mir nicht glauben, aber ich berichte, was ich gesehen und gehört habe.
Vielleicht erging ich mich zuerst, bei seinem Eintreffen, als ich statt eines pensionierten Geheimrats einen Vercingetorix vor Cäsar erwartete, zu sehr in Romantik. Für das Folgende weiß ich mich keiner poetischen Haltung schuldig. Denken Sie: der Baron begann plötzlich zu sprechen, lebhaft, ja er begann zum Leben zu erwachen. Was erweckte ihn zum Leben? Seine Familie, Familiensorgen. Sie sollte im Regierungsgebäude bleiben dürfen. Er bat darum. Er erging sich breit darin, Mirman die Schwierigkeiten aufzuzählen, die
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