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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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dem Teppich, plauderte und besah sich, die jungen Damen freuten sich, noch in diesem Winter nach Paris fahren zu können, es sei so unwahrscheinlich, wie überraschend das möglich geworden sei. Aufmerksam ließen die beiden jungen Damen ihre klugen Augen auf Hilde liegen, der sie noch nicht begegnet waren, sie kamen aus Metz, Hilde war elsässische Gesellschaft.
    Der Herr Curé wurde hereingeführt, ein schlanker älterer Herr mit scharfem energischen Gesicht, einen Kneifer auf der Nase; man sah ihm den redegewandten diskussionsbereiten Professor an, auch er Lothringer von Geburt, der im bischöflichen Gymnasium Montigny, später in Rom und Paris studiert hatte. Man saß in der Runde. Hilde wurde angestaunt, sie ließ sich gehen, erzählte von Kriegsabenteuern.
    Als die beiden Schwestern, die etwas katzenhaft Sanftes an sich hatten, sich verabschiedeten (vielleicht traf man sich in Paris) und man aufstand, raffte die ältere der beiden, nachdem sie einen kleinen frommen Blick auf die jüngere geworfen hatte, ihren Schal und fragte, mit eleganter Gleichgültigkeit: ob es also bei Sonntag bliebe, ja? »Und Bernhard wird auch wieder da sein?« Frau Anny, ohne der Versuchung nachzugeben, den Kopf zu Hilde zu drehen, legte im Hinausbegleiten den linken Arm um die Schulter der älteren: »Wenn der Herr die Gnade hat, sich älterer Damen zu erinnern.«
    Hilde blieb neben dem Geistlichen, wie von einer Degenspitze berührt. Bernhard besuchte die Tante, und sie verschwieg es ihr. Warum? Was war das? Als Anny langsam zurückkam und sich setzte, schien sie zerstreut, sie mied noch immer Hilde anzublicken. Der Priester hatte viel auf dem Herzen, er saß gern zwischen den beiden Damen.
    Er lobte die großartige Haltung der elsässischen Bevölkerung, die sich, von Kleinigkeiten abgesehen, zu keinem Racheakt habe hinreißen lassen, freilich habe die vernünftige Art, wie sich der sogenannte Arbeiter- und Soldatenrat der Deutschen auf das Notwendige beschränkt habe, die ruhige Entwicklung erleichtert. »Aber nun«, und er schlug die Hände zusammen, »die Protestanten. Man kann doch die katholische Kirche gewiß keiner Sympathien für Leute bezichtigen, die eine Narrheit begehen und auf das Münster die rote Fahne setzen. Ein Dummerjungenstreich; immerhin, sie hätten es sich schenken können. Aber Protestanten, Professoren, beamtete Leute, die einen Mißton in die friedlichen und freudigen Feiern dieser Tage tragen wollen! Diese Torheit! Was ihnen wohl geschehen wäre, wenn die Roten keine Furcht vor den Franzosen gehabt hätten und ihr revolutionäres Werk nach Herzenslust hätten üben können. Was wäre aus der Kirche und ihren Schulen geworden. Und statt dankbar gegen die neuen Träger der Staatsgewalt zu sein, setzen sich welche von ihnen hin und protestieren, daß am Sonntag ein evangelischer Gottesdienst zur Feier des französischen Einzugs, zur Begrüßung des Marschalls Pétain stattfindet.« Anny schien sich wiedergefunden zu haben: »Unsere Kirche hat eben eine andere Stellung zu Frankreich.«
    Der Priester nahm den Kneifer ab und lächelte: »Ich erwog eben, ob ich nicken oder den Kopf schütteln solle. Sie meinen wegen des französischen, alten und kraftvollen Katholizismus. Aber man hat in Frankreich auch die Revolution gehabt. Im alten Deutschland hatten die Katholiken nichts zu lachen, aber da war einmal der große Bismarck und ließ sich mit uns in einen Kampf ein, und nach Canossa, sagte er, würde er nicht gehen, wie einmal ein deutscher Kaiser, aber er hat es doch getan. Unsere Kirche wird von Ereignissen wie den jetzigen nicht überrascht, sie hat für alle Dinge schon einen, wie man behördlich sagt, Präzedenzfall, wenn das nötig wäre. Aber ist es nötig? Bedenken Sie als Katholiken, wie wir zu unsern Vaterländern stehen, in denen wir der Natur nach existieren. Die Kirche bevorzugt keinen Staat. Sie triumphiert nicht, wenn ein Staat siegt, und sie trauert, wenn einer unterliegt, sie ist an keinem Krieg beteiligt, und kein Staat ist ihr Staat, weil es heißt: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Sie trauert über jeden Krieg. Sie freut sich über das Ende der Streitigkeiten. Ihre Aufgabe ist immer, mitzuwirken, daß die Streitigkeiten sich vermindern und aufhören. Ihre Domäne ist die Liebe.«
    Jetzt spielte Anny an ihrem Spitzenkragen, und plötzlich fühlte Hilde ihren fragenden samtenen Blick auf sich ruhen. Anny sagte: »Ich hatte vorhin, bevor Hochwürden erschienen, ein langes Gespräch mit

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