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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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schelmisches Lächeln, daß er in einen schweren Kampf geriet. Aber solch schwerer Kampf ist auf der Straße in Straßburg vor einem solchen Plakat und einer Dame nicht stumm bis ins letzte durchzuführen, was sich die Literatur und die Versuchung des heiligen Antonius leisten kann; sondern man muß rasch eine Antwort geben. Und solche Antwort gibt sich auch rascher, als man es selber vermutet, und während man sich noch fürchtet, hat sich schon auf den Lippen, auf den eigenen Lippen, das geformt, was die ganze Situation verändert. »Ich weiß nicht recht, meine Gnädige«, hatte der Pfarrer geantwortet, aber schon mit welchem Zögern, bestürzt, nachgiebig, protestierend, aber schon bittend. Sie fühlte, er wollte nicht und konnte sich nicht versagen. Sie wagte wieder ihr »Onkelchen«, er hörte es schon entsetzt, denn er sah sich schon halb verloren, das war Trommelfeuer. Sie sagte und schmollte: »Wir gehen nur hinein, wir sehen es uns eine Viertelstunde an. Ein kleines Viertelstündchen, bitte, bitte, Onkelchen.« O welches Kätzchen, o Eva, muß denn der Sündenfall sich immer wiederholen, der Adam in uns weiß alles, man hat ihm alles gesagt, alle Folgen vorgehalten, und, o wie wahr ist die Bibel, er handelt wie damals.
    Und im schweren Gefühl, ein neuer Adam zu sein, die Worte der Bibel über sich, geht er neben der hupfenden Guste die Treppe zum ersten Stock herauf, von wo Musik tönt. Da ist die Garderobe, er legt seinen steifen Filzhut hin, der Herr legt doch auch den Mantel ab, es ist sehr heiß drin – wenn es denn sein muß. Ja was macht die Frau Oberleutnant, man hängt lächelnd ihren dunklen Mantel und den Hut und den Schleier auf, wo steckt sie denn, der Herr suchen die Dame, im Waschraum, also warten wir, sonderbar, daß ich hier stehe, du lieber Gott, die Niederlage, unser Rückzug, o Straßburg, o Straßburg, du wunderschöne Stadt. Da hupft – ja ist sie das? Ein nettes molliges Frauchen in einem blauen feschen Kleid, sie hält eine Rose in der Hand, soll ich sie mir anstecken, oder was meinst du, Onkelchen, immer Onkelchen, schließlich so alt bin ich nicht.
    Sie sitzen an einem kleinen Marmortisch, jetzt möchte sie einen Porto, da nimmt er ihn auch, der Raum ist weitläufig, gut besetzt, das Orchester hat vier Personen, die jetzt plaudern und rauchen, der Pfarrer sackt in sich. Guste strahlt und klopft ihm ermunternd die Hand: »Ich bin Ihnen doch so dankbar.« Da fängt einer vom Orchester, es ist der Klavierspieler, an zu singen. Einige Paare gehen über die Tanzfläche, was sind das für Tänze, ist das Tango, Guste flüstert begeistert: »Sie singen englisch, kommen Sie, gell, einmal, ein einziges Mal.« »Aber ich bitte Sie.« »Einmal, ein einziges Mal.« »Aber ich kann ja gar nicht, sehen Sie sich diese Tänze an, nein, ich will nicht.« »Einmal, was schadet ein kleiner Tanz.« Da erhebt er sich in Gottes Namen und dreht mit ihr eine Art Polka, aber es geht nicht, er ist geniert, sie gibt endlich nach, sie setzen sich, sie schmollt, er schweigt und trinkt an seinem Glas. Da geht es wieder los, und während sie noch trist auf ihre Rose blickt, flüstert jemand hinter ihr, sie dreht sich um, ein Herr verbeugt sich, gegen den Pfarrer, gegen sie: »Der Herr gestatten, die Gnädige.« Er versteht nicht, sie versteht nicht, sie versteht doch, sie glüht auf, lächelt den Pfarrer an, ein großes seliges Augenöffnen, und schon ist sie auf, steht auf der Tanzfläche, in seinem Arm.
    Denn der Mann, es ist, wie sie gleich erkannt hat, exakt der Herr von der Aubette, er sagt ihr auch gleich, daß er sie schon in der Aubette gesehen hat mit dem Herrn Gemahl, und sie erinnert sich auch und an die Dame mit dem Hund, da sitzt sie ja, richtig, sie sitzen alle drei auch da, ja Sie müssen doch mit Ihrer Dame tanzen, manchmal wechselt man, wenn ein Mädchen einen Herrn hat, den sie liebt und den sie gern hat, ich kenne diese modernen Schritte noch nicht, das lernt eine Dame leicht, und es geht auch wirklich, und sie ist in einer andern Welt, und nachher führt er sie ernst an ihren Tisch zurück, wo der Pfarrer noch immer in sein Glas blickt, aber verdächtig an seinem schwarzen Schlips rückt und schließlich, ohne sie anzublicken, nach einem Räuspern bemerkt: »Jetzt dürfte man aufbrechen.« Sie schmeichelt und rückt ihm näher, der nächste Tanz hat angefangen, das ist ein Tango, und wie sie schon in Erwartung den Kopf dreht, steht der ernste junge Mann da und verbeugt sich, sie huscht

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