November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
wissen will, woher sie es haben, so erkundige man sich auf dem Flugplatz bei dem ehemaligen Lazarett, in den Bekleidungskammern der Regimenter, sie haben Propellerholz, Mäntel, Stiefel, Stoff – aber was sprechen wir davon, von Bekleidungskammern, Regimentern, Flugplatz, sie sind frisch in der Herrgottsfrüh auf, sie hauen einen brillanten Kaffee hin, von dem sie in aller Ruhe ein paar Tassen heiß heruntergießen, dazu Brot mit Marmelade. Sie schmatzen, schlukken und lachen in die neblige Landschaft hinein. Nachher werden sie sich auf den Weg zu den anderen machen.
Frau Oberstabsarzt, einen dicken Morgenmantel übergeworfen, in blauen Pantoffeln, ohne Strümpfe, zieht die Vorhänge beiseite: »Du hast so schön geschlafen, Otto.« Sie ist fröhlich, er ist fröhlich. Die Thermosflaschen haben noch heißen Kaffee, er trinkt gierig, legt sich selig zurück: »Es ist herrlich, ganz herrlich.« Ihnen beiden ist merkwürdig zumut, woher sie nur diese Freude haben, aus ist der Krieg, alle Träume werden erfüllt, sie umhalst ihren Mann, die Umstände sind so reizend, erregend, man fährt, wird verpflegt, sie sind wie ein junges Ehepaar. Sie schütteln den Kopf und lachen über rote Fahnen, die hie und da an Häusern auftauchen, aber ganze Ortschaften sind auch mit Reichsfarben, mit Fahnen und Blumen geschmückt, von irgendwelchen letzten Siegesmeldungen her oder schon zum Empfang der rückmarschierenden Truppen.
Der Pfarrer und die Witwe
Die verwitwete Frau Oberleutnant wanderte neben ihrem Pfarrer durch das liebliche Straßburg und kam nicht aus dem Kichern heraus, das dem Pfarrer in die Seele schnitt. Es war der Nachmittag des Tags, an dem das Lazarett abfuhr. Sie ist ein kleines Luder, dachte er; wie nur der verstorbene Oberleutnant, der an der Marne liegt, sich an so etwas hängen konnte. Aber es entging ihm nicht, daß man in Straßburg von vielen solchen kleinen Ludern umgeben war. Mit Kummer sah er an der Seite der Frau Oberleutnant auf dem Gutenbergplatz dieselben Blumenfrauen, die unserer Schwester Hilde Freude gemacht hatten, auch die Tauben flogen und hackten zwischen den Steinen, ziemlich verhungerte Tauben, sie haben noch nicht einmal Brotkarten, aber Gott im Himmel nährt sie doch. »Frau Oberleutnant« (»Aber sagen Sie doch nicht immer Frau Oberleutnant zu mir, was sollen sich die Leute denken, hier auf der Reise. Sie sind, ich weiß, mein Onkel, ich bin Frau Guste, oder einfach Guste, inkognito, Herr Pfarrer, wir sind im Kriegsgebiet«), »also verehrte Gnädige (o Gott), darf ich Ihnen eine Blume anbieten?« Sie war entzückt, schwenkte das Sträußchen in ihren Händen und winkte dem »Ollen« da oben hinauf. »Das ist Gutenberg, der Platz heißt nach ihm.« »Sie gefallen mir besser, lieber Onkel; ich hoffe, Sie sind zufrieden, daß Sie jetzt neben mir spazieren und nicht da oben in der Kälte stehen und die Tauben ...« Sie kicherte. Er ging neben ihr, ernst, er sagte sich: das Maß ist noch nicht voll. Aber er war ungeheuer neugierig, denn was er neben ihr sah, hätte er allein nicht gesehen.
Wie sich diese Offiziere benehmen. Als ob man nicht in einer weltgeschichtlichen Katastrophe stände! Aber vielleicht wollte man noch einen Schluck Freude trinken, zur Betäubung.
Was steht denn da? Er hielt sie an einer Anschlagsäule fest. »Aufruf an die Kameraden der Armeeabteilung A. Durch die Waffenstillstandsbedingungen sind wir gezwungen, das gesamte Elsaß-Lothringen den Mächten der Entente zu überlassen. Bewegten Herzens … Aber, Kameraden, es gilt sich mit Würde ... Da, wo freilich die elsässische Bevölkerung uns mit Gewalt entgegentreten sollte, werden durch eure Führer sofort die entsprechenden Gegenmaßregeln angeordnet werden. A. O. K., der Chef des Generalstabs.« Der Zentral-Arbeiter- und Soldatenrat von Straßburg an die Bevölkerung: »Bewahrt Ruhe, der deutsche Soldat ist nicht euer Feind. Das deutsche Volk und die deutschen Soldaten haben dem uns so verhaßten System den letzten Stoß gegeben.«
Sprachlos stand der Pfarrer davor. Er blickte nach rechts, nach links; es gingen Leute vorbei, Soldaten, Offiziere, alle nahmen das hin! Zum ersten Mal fühlte Frau Guste, wie sich sein Arm unter ihren schob; nun wird der alte Bär doch lebendig, wird doch früh genug in seine muffige Höhle kriechen; sie drückte zufrieden seinen Arm, endlich ein Kavalier, aber er war nur getroffen und suchte Stütze. So bald bekam er aber seinen Arm nicht frei. Oh, dieses lustige alte Straßburg! Tod
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