November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
auf den Schiffen, auf denen die Offiziere sterben wollten, saßen auch sie. Und sie waren für solche Sache nicht zu haben. Und darauf brannte, als die Stunde der befohlenen Abfahrt kam, in den Kesseln der Schiffe kein Feuer. Auch die Heizer wollten nicht sterben. Schon Friedrich der Große hatte sich in der Schlacht bei Kunersdorf mit der eigentümlichen Abneigung von Menschen, auch von Soldaten, zu befassen, in einen gar zu deutlich markierten Tod zu gehen. Er hatte gebrüllt: »Wollt ihr denn ewig leben?« Aber auch das animierte wenige. Die Feldherrn erfahren oft: ihre Leute sterben ungern, wenn man sie mit der Nase darauf stößt. Wenn sie freilich über den schwierigen Punkt, das Sterben, hinweg sind, dann liegen sie ruhig, aber davon hat der Feldherr nicht viel.
In Kiel erhielten die Offiziere, als sie ihre Matrosen und Heizer anschrien, den runden Bescheid: »Wir gehorchen nicht. Ihr habt den Krieg verloren. Es war nicht unser Krieg.« Mit Blut auf beiden Seiten wurde diese Antwort besiegelt und als endgültig festgestellt.
Was in Kiel geschah, wiederholte sich in Wilhelmshaven, Altona, Bremen. Es waren die furchtbaren, letzten, allerletzten Tage für die deutsche Armee, wo der amerikanische General Pershing die Argonnenstellung durchbrach und sich an Metz heranschob.
Als nun an den nächsten Tagen die elsässischen Matrosen in Kiel und Wilhelmshaven ihre Zeitungen lasen und daraus ersahen, was es für Waffenstillstandsbedingungen gab und daß da auch von Elsaß-Lothringen die Rede war, von ihrem Land, wurden sie stutzig. Oho, da haben wir doch wohl ein Wörtchen mitzureden. So rasch waren aus angeschrienen Untergebenen freie, ja stolze Leute geworden, die sich ihr Recht nicht nehmen ließen.
Der Matrose Thomas stammte aus Weißenburg. Er war ein gemäßigter Mann, der achtzehn Jahre in der kaiserlichen Flotte gedient hatte. Man hörte auf sein Wort. Die Matrosen fragten ihn aus. Sie fluchten: »Die Entente hat mit unserem Elsaß ein gemeines Stück vor, sie wollen es einstecken.« Sie fluchten auf den betrügerischen Imperialismus dieses Herrn Wilson aus Amerika. Wo blieb da das Selbstbestimmungsrecht, mit dem der hausieren ging. Es fanden sich verschmitzte Reichsdeutsche ein, die Dampf hinter ihnen machten, obwohl sie etwas anderes im Sinne hatten. Die Matrosen aber schworen: »Wir verlangen unser Elsaß. Wir lassen uns von keinem unser Elsaß nehmen.« Sie fühlten die Macht der Revolution in ihren Knochen. »Wir tragen die Revolution nach dem Elsaß. Kleber war unser General.«
Man stellte in Wilhelmshaven einen Sonderzug für sie zusammen. Das Feuer von der Nordseeküste, das in ganz Deutschland wütete, sollte in das Elsaß geworfen werden.
Durch die Nacht, mit lohendem Schornstein, raste der Zug, an keiner Station haltend, über Osnabrück, Münster, Düsseldorf, Köln. Es war Mittwoch, der Dreizehnte. Nun waren sie angekommen, in Straßburg, am Donnerstag, hundertachtzig Mann. Denn vierzig hatten sie unterwegs in Metz und Saarbrücken abgegeben. Zu hundertachtzig stellten sie sich in Straßburg auf dem weiten Bahnhofsplatz auf, warfen ihre Gewehre im Riemen auf den Rücken und bewegten sich, die rote Fahne voran, in geschlossenem Zug, ohne eine Minute zu verlieren, durch die schmale Küßstraße links zum St.-Johann-Staden, dann über den Kleberstaden, und da war auch schon der Justizpalast. Sie beeilten sich sehr, denn sie hatten schon heraus: in Krieg und Revolution kommt es viel auf Schnelligkeit an. Bist du nicht schnell, so ist der andere schnell, und bist du schneller als der andere, so hast du schon das halbe Treffen gewonnen.
Das Landgerichtsgebäude stand am Finkmattstaden. Aufgeregte Leute begleiteten sie vom Bahnhof. Ein großer Haufen hatte sich schon vor dem Palast versammelt. Man muß aber nicht glauben, daß das, was sich damals, tagein tagaus, seit die Revolution ihren Einzug gehalten hatte, vor dem Justizpalast ansammelte und in kleinen Kolonnen eindrang, leidenschaftliche Politiker waren. Zu dem vielen Merkwürdigen, was diesem finstern Gebäude an jenen Tagen angetan wurde, gehörte auch, daß man es zu einer Speiseanstalt machte. Denn durchreisende und suchende Soldaten, Entlassene, die herumirrten und obdachlos waren, wandten sich damals natürlich zunächst an ihren Soldatenrat. Und da hatten die Räte, in guter Kenntnis dessen, worauf es im Menschenleben ankommt, einfach mehrere Feldküchen in das Erdgeschoß des Landgerichts fahren lassen, und da aß man, wärmte sich
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