November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
strahlend auf, und nun der Tango. Sie kennt den Herrn jetzt schon, sie kennt seinen Arm, seine Brust und seinen Schlips, er tanzt herrlich, sie sieht, die andern tanzen die Schritte wie er, aber er macht es so feierlich ernst und elegant, und während er flüstert, verzieht er keine Miene, Gott ist sie schön, diese ungebundene Welt, ich kenne ihn nicht, und er kennt mich nicht. Wie man sich hin und her bewegt im Stehen und Drehen, eigentlich sind manche Schritte etwas unanständig, aber alle machen sie, es sind die neuen Tänze. Wie das Wiegen und Drehen und Gehen und Stehen aus ist und er, um sie zurückzuführen, ihre Hand nimmt, kommt es ihr vor, als ob sie etwas Ungeheures erlebt habe, und er geleitet sie an ihren Tisch, der Tisch ist leer, der Herr verneigt sich.
Wo ist der Pfarrer? Der Kellner nähert sich, als sie sich fragend umblickt: »Der Herr erwartet die Dame in der Garderobe.« Sie zieht ihn draußen beiseite; er bleibt aber fest: »Ich habe Ihnen nicht mehr versprochen.« Was hatte ihn plötzlich so starr gemacht? Er hatte sie beim Tanz beobachtet, und da war ihm die Erinnerung an das Fräulein Köpp, die Hutmacherin mit dem fraglichen Kind, gekommen, und an manche andere derselben Art, und diese Erinnerung hatte ihm den Aufenthalt hier verleidet, und diese verwitwete Frau Oberleutnant wollte er nicht mehr sehen. Er hatte schon seinen Mantel an und hielt seinen Hut in der Hand, sie konnte nicht »Onkelchen« sagen, sie dachte »Spielverderber, pah«, gab ihm die Hand, »also auf Wiedersehen zum Abendessen« und zurück in den Saal, zornig. Und dann noch zwei Tänze und mit dem Herrn für morgen verabredet und ins Hotel, wo sie in der Halle den Pfarrer traf und kühl von ihm Abschied nahm; da er erklärte, noch am Abend reisen zu müssen. Sie dachte: mache ich noch einen Angriff auf ihn – aber sie sah, der Mann hatte eine beleidigte Würde. Er wagte es, als sie sich zuletzt im Speisesaal die Hand reichten, ihr nahezulegen, mit ihm zu reisen. »Ich glaube, Gnädige, weder Sie noch ich kennen genug die Sitten einer solchen Stadt.« Sie dankte erhobenen Hauptes für die Belehrung und erzählte ein Märchen von einer Frau Hauptmann, die hier wohne, und der sie natürlich noch einen Besuch abstatten müsse. Er freute sich, sie wieder in ihrem Rahmen zu sehen, und ging. Was ihn selbst anlangte, so war der alte Adam siegreich zurückgeschlagen, die biblische Pflicht erfüllt.
Jedoch saß die Witwe noch eine Viertelstunde im Speisesaal vor den abgegessenen Tellern und brütete Rache, wobei sie Bonbons knackte.
Die Wilhelmshavener Matrosen
Mit lohendem Schornstein, über schmetternden Schienen raste, an keiner Station haltend, von Wilhelmshaven her über Osnabrück, Münster, Düsseldorf, Köln ein Sonderzug. Er trug zweihundertzwanzig Matrosen der Hochseeflotte, zugehörig der Avantgarde der Revolution, Elsässer, jetzt alle schlafend auf Bänken, auf den Gängen. Sie wollten das Elsaß vor den Franzosen retten.
Sie waren an zwanzigtausend Elsaß-Lothringer in Kiel und Wilhelmshaven gewesen. Warum so viele? Jedes Jahr fragte es ein Abgeordneter im Elsässischen Landtag. Er bekam die sonderbare, höhnische Antwort vom Regierungstisch: sie vertragen das tropische Klima so gut, so besonders gut. Da sie nun bei der Marine waren, hatten sie in Kiel auch mit dem 1. und 3. Eskadre des Admirals von Hipper revoltiert, und waren dabei, als man die rote Fahne auf den Schlachtschiffen König, Kronprinz Wilhelm, Kurfürst, Thüringen, Helgoland, Markgraf hißte.
Wie das über die Matrosen kam, am Anfang November, ist leicht gesagt. Sie hatten während des Krieges in Häfen herumgelungert. Und die ein, zwei Wochen bis zum Ende des Krieges hätten sie noch gut und gern ausgehalten. Aber da brüteten ihre Offiziere etwas aus, was ihnen nicht gefiel. Sie sollten, achtzigtausend Mann, an einem bestimmten Tage den Hafen verlassen und in den sichern Tod gehen, den sie wie alle menschlichen Wesen verabscheuten. Die Offiziere verrieten es ihnen darum auch nicht, aber die Matrosen fingen Abschiedsbriefe der Offiziere an ihre Angehörigen ab, aus denen sie es ersahen. Die Seeoffiziere wollten dem Engländer, der draußen, viel stärker als sie, lauerte, eine Schlacht liefern. Denn da es doch nun einmal gewiß war, in diesem November, daß man nirgends in der Welt, weder zu Wasser noch zu Lande, siegen konnte, so wollte man wenigstens mit Ruhm untergehn. Wer? Die Offiziere. Die Matrosen aber meinten, dazu gehören zwei. Denn
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