Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
Vom Netzwerk:
hast, du kletterst mit deinen fünfunddreißig Jahren noch wie ein Affe die Masten herauf, mir fallen schon die Haare aus. Aber das muß erst festgestellt werden, wer von uns beiden hier mehr kann. Peirotes sagte zu Thomas:
    »Jawohl, die Franzosen. Die Leute im Elsaß haben nichts gegen die Franzosen. Früher war man ja hier französisch. Wie dir bekannt sein wird. 1870 ist erst der preußische Militärstiefel gekommen und hat unsere Eltern kleingetreten. Ihr seid doch Elsässer, habt’s zu Hause gehört. Wir haben nicht aufgehört, dagegen zu protestieren. Und dann, nachher – laßt euch in der Stadt erzählen, was wir während des Krieges ausgestanden haben. Ja, offen und ehrlich, alle Welt ist hier froh, daß die Franzosen kommen.«
    Thomas steckte die Hände in die Taschen, reckte sich auf seinem Stuhl, lachte laut und blickte sich zu seinem Freund Eisenring um: »Was sagst du dazu? Sie wollen ihre Franzosen haben. Da können wir ja gleich zurückdampfen.«
    Peirotes: »Die Leute wollen sie haben. Und wir Genossen von Straßburg und vom Elsaß überhaupt, wir wollen sie auch. Ja, sieh mich nur an. Wir sind darin einer Meinung. Und wenn du etwa doch auf den Kleberplatz gehst, Freund Thomas, und da die elsaß-lothringische Republik ausrufst, so sage ich dir was voraus.«
    »Da bin ich neugierig.«
    »Wenn du auf dem Platz bist, kein Sozialist ist da und kein Elsässer! Nicht eine einzige Seele! Wer da ist, sind alles – Altdeutsche. Die Altdeutschen. Die Patrioten von Wilhelm. Und die Elsässer werden laut sagen, was sie schon jetzt munkeln: Ihr seid deutsche Abgesandte, man hat euch mit deutschem Geld hergeschickt, von Berlin, damit sie uns weiter unter ihrer Knute haben.«
    Thomas schlug die Arme zusammen: »Sone Kerle. Sone Kerle. Das denkt man von uns. Und das sagt man mir ins Gesicht.«
    Peirotes: »Überzeuge die Leute, Genosse Thomas. Geh hin. Wenn’s dir Spaß macht, mach die Probe mit dem Kleberplatz.«
    Thomas grob und laut: »Mit Wilhelm und den Preußen hab’ ich nichts zu tun. Das hab’ ich bewiesen. Ich bin so gut Elsässer wie du. Aber ich bin auch Sozialist. Und du bist ein Franzosenkopf.«
    Das tat Peirotes gar nicht weh: »Ich bin Sozialist. Mein ganzes Leben stehe ich in der Partei. Du mußt nicht glauben, weil du von Wilhelmshaven kommst, du weißt mehr vom Sozialismus als ich. Der Sozialismus muß vorbereitet sein. Hier ist nichts zu machen. Jetzt nicht. Der Sozialismus geht nicht von dir aus oder von mir aus, sondern von den Massen. Zeig mir die Massen.« »Dann muß man sie aufklären, dann muß man führen, die Situation ist nicht so schlecht, jetzt nach dem Krieg. Jeder weiß, was los ist mit dem Kapitalismus und Imperialismus.«
    Peirotes zuckte die Achsel: »Dann versuch du es. Ihr seid neue Leute. Ihr habt revolutionäre Erfahrung. Sag den Leuten, was du weißt. Wenn du willst, an uns soll’s nicht liegen, machen wir Versammlungen. Heute ist Donnerstag. Wann willst du sprechen?«
    Thomas blickte seinen jüngeren Freund Eisenring an, er war ein gutmütiger Mann, loderte jetzt aber in hellem Zorn: »So geht’s. Da kommt man aus einem Land, wo die Revolution gesiegt hat und klopft bei seinem Nachbarn an, dem’s ebenso geht und sagt ihm: Mach dein Fenster auf, Nachbar, schau her, was es in der Welt gibt. Und der klönt: Ich hab grade Kopfschmerzen, mir tut das Kreuz weh, heut kann ich nicht, vielleicht morgen. Der Franzose kommt! Als ob der Franzose was gegen den Sozialismus und gegen die Revolution kann. Die französischen Soldaten, Peirotes, sind unsere Genossen, Arbeiter, Bauern, kleine Leute, die genug haben. Sie fallen uns in die Hände wie morgen die 17. deutsche Reservedivision, wenn sie mit ihren Offizieren anmarschiert. Was meinst du, Eisenring, wir wagen es?«
    Peirotes unruhig: »Was?«
    »Was meinst du, Eisenring? Die haben hier alles verpfuscht. Das siehst du ja. Hier haben sie mit Chauvinismus geheizt. War höchste Zeit, daß wir kamen. Saubere Sozialisten! Schlafmützen! Der Teufel soll euch holen. Wir sammeln die revolutionären Soldaten, wir alarmieren die Bevölkerung.«
    Peirotes schwieg erst, dann nickte er: »Ja, tut das. Ihr habt noch gut acht Tage Zeit. Bis zum Einundzwanzigsten, zwölf Uhr mittags.«
    Thomas lehnte sich wieder zurück und betrachtete mit einem harten Ausdruck Peirotes:
    »So sieht ein elsässischer Sozialist aus. Sieh ihn dir an, Eisenring. Er denkt an die französischen Generäle. Er hofft auf sie, er wartet auf dieselben Generäle, die die

Weitere Kostenlose Bücher