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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Kommune niedergeschlagen haben. Er kriecht vor ihnen, wie in Deutschland die Sozialdemokraten getan haben. Er läßt uns glatt fallen. Und wenn’s drauf ankommt, läßt er uns erschießen, wie sie es mit Köbis und Reichpietsch im Oktober gemacht haben.«
    Peirotes völlig friedlich: »Ich lege euch nichts in den Weg. Ihr habt die Macht. Ich habe nur als Einheimischer gesprochen, der die Verhältnisse kennt.«
    Thomas saß finster da und rauchte seine Pfeife. Auf Peirotes’ Frage, was er also vorhabe, brüllte er ihn mit einem Faustschlag auf den Tisch an: »Das wollen Sozialisten sein! Revolutionäre! Wenn man mit euch aufräumen könnte.«
    Eisenring bat ihn, sich zu beruhigen.
    Peirotes strich sich den Schnurrbart, stand auf, warf seinen Stuhl. Er war auch ein Mensch. Er ging.
    Aber nur zwei Schritt. Er war auch Bürgermeister.

Von Tod und Liebe
    Als es im Zug wieder Abend wurde, der Abend des Freitag, und ein Sanitäter außen an den Coupés entlangkletterte und in den Einzelabteilen nach Wünschen fragte, ließ Maus das Fenster herunter und sagte: »Schön, daß Sie kommen; wenn Sie Glühwein fassen können, stark gezuckert und ein Stück Zitrone dazu, machen Sie uns glücklich.« »Ich möchte mich heute nicht so früh hinlegen wie gestern«, sagte er zu Becker, der sich in einer Ecke unter Kissen und Decken vergraben hatte, »man träumt schwer im Zug. Und man hat Gedanken, mit denen man doch nicht fertig wird.«
    Der Sanitäter brachte es wirklich zustande, den gefährlichen Weg am Zug entlang mit einem Körbchen zu machen, er reichte Arrak, Zucker, Zitrone, Gläser und Löffel herein. Gläser und Löffel waren überflüssig, sie hatten sie schon. Und zum ersten Mal steckte Maus auf der Bank den Spirituskocher an, der noch zu seiner Feldausrüstung gehörte und den ihm für diesen Winter seine Mutter geschickt hatte. Zu seinem Erstaunen funktionierte er. Sie tranken den heißen Wein.
    Der Zug rollte, rollte. Die Dunkelheit lagerte auf der Erde, wo war Himmel, wo war Erde? Das Licht in ihren Wagen flakkerte trübe. Maus sagte: »Jetzt sind wir zwei Mönche allein in einer Zelle. Erzähl mir von dir, Becker.«
    Becker hinten halb sitzend unter seinen Decken: »Was möchtest du hören?«
    »Anheimgestellt.«
    »Ich werde dir von meiner zweiten Geburt erzählen. – Es war mir bis zum Krieg nicht schlecht gegangen. Ich war dann mit unserm Regiment im Osten, ein paar Monate; nachher saßen wir im Westen. Ich hatte es leicht im Leben, mußt du wissen, Maus; schon seit der Schule, seit ich mich besinnen kann. Wohin ich denke, gute Erinnerungen, Freundschaften, die mir blieben, Lieben, die schmerzlos auseinandergingen. Ich habe oft die Bitterkeit junger Leute wegen irgendwelcher Erfahrungen gesehen. Ich hatte solche Erfahrungen nicht. Ich war Lehrer geworden, und meine Jungs hingen an mir; im Unterricht, in den alten Klassikern und wo ich konnte, prägte ich ihnen ein, wie erhaben der Mensch ist. Du kennst den Chor aus der ›Antigone‹: ›Vieles Gewaltige lebt, und nichts ist gewaltiger als der Mensch. Denn selbst über die dunkele Meerflut geht er, vom Süd umstürmt, hinwandelnd zwischen den Wogen die rings umtoste Bahn. – Flüchtiger Vögel leichte Schar und wildschwärmendes Volk im Wald, auch die wimmelnde Brut der See fängt er listig umstellend ein mit netzgeflochtenen Garnen, der vielbegabte Mensch. – Und das Wort und den luftigen Flug des Gedankens erfand er.‹ Des war ich, Maus, sicher; fröhlich, ein Erbe, ich war ein Glückskind, man sagte es mir, ich war am Sonntag geboren.«
    Maus: »Du hast es an dir. Sie sagten es auch im Lazarett.«
    »Mein Vater war kein großes Ding, ein Zollbeamter, ich kann mich schlecht auf ihn besinnen, er starb früh, meine Mutter hatte er hier aus dem Rheinland genommen. Nachher hatte sie mich allein und ließ mich machen, was ich wollte. Mutter lebt noch. Du wirst sie sehen.«
    »Sie ist – wie du?«
    »Zehnmal besser. Zehnmal mehr. Aber das kann ich dir nicht beschreiben. Du wirst es merken, wenn du sie siehst. Dann wirst du sehen, warum ich fröhlich und leicht sein konnte, von wem ich es hatte. Darum weiß ich, wie sie mich empfangen wird, wenn ich zurückkehre.«
    »Sie hat dich nie besucht?«
    »Ich habe sie beschworen, nicht zu kommen. Sie hat mir dann lange nicht geschrieben.«
    »Versteh’ ich nicht.«
    »Erst am Dienstag, diesen Dienstag bekam ich einen Brief von ihr: Jetzt würde ich doch wohl in die Heimat zurückkehren wollen. – Aber ich will von

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