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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Sie musste sich erinnern, aber vor
     allem musste sie verstehen, wo das fehlende Puzzleteil hingehörte.
    Es war früher Nachmittag. Der Regen fiel grau und stetig, und Paula begann im Park umherzugehen. Durch die Allee, hin und
     her, um die Gebäude herum. Der Pilot. Erik hatte ihm Geld geliehen. Das war das eine. Aber da war noch etwas, etwas, das verborgen
     lag. Und dann war es plötzlich wieder da. Diese Frau, Eva, mit ihrem armen Sohn. Der sich völlig in dieses Spiel hineingesteigert
     hatte.
The Silent Knight
, das war Eriks ganz großer Coup gewesen, mit diesem Spiel hatten sie Millionen verdient. Und eines Tages war dieser Brief
     gekommen. Adressiert an dieFirma. Aber Erik hatte ihn nicht ernst genommen. Und Constantin, Eriks erster Mann, auch nicht. Wenn wir auf jeden Spinner
     hören würden
.
Der Brief war höflich formuliert gewesen. Aber unmissverständlich.
Sehe mich leider gezwungen, Schritte zu unternehmen, wenn die Produktion dieses Spiels – und aller derartiger Spiele – nicht
     eingestellt wird
. Konnte das in irgendeinem Zusammenhang stehen? Paula ging immer schneller. Marie war dieser Frau gefolgt, die irgendetwas
     weggebracht hatte. Und dann fiel Paula auch wieder ein, was Marie gesagt hatte: Dass sie vielleicht noch einmal hinfahren
     wollte. Und nachsehen. Paula rannte jetzt fast. Ein Telefon. Aber wenn sie jetzt auf die Station käme, um ihr Handy zu holen,
     müsste sie zur Klangtherapie. Und dafür hatte sie keine Zeit. Ein junger Mann tauchte auf, einer von der Drogenstation, wie
     sie auf den ersten Blick erkannte. Paula stürzte auf ihn zu.
    »Bitte. Kann ich dein Handy kurz benutzen?«
    Der Typ zuckte die Achseln, zog ein sehr neues, sehr flaches Sony Ericsson aus der Jackentasche. Reichte es ihr.
    »Dürft ihr auf der Depri keine Handys haben?«
    Paula nickte abwesend. Tippte Maries Nummer ein. Als niemand abnahm, versuchte sie sich an Maries Handynummer zu erinnern.
     0176   … und dann? Marie benutzte das Ding ohnehin kaum. Sie wählte die Nummer ihres Bruders. Die Mobilbox schaltete sich noch vor
     dem ersten Klingeln ein.
    »Scheiße«, sagte Paula und gab dem Mann sein Handy wieder.
    »Bitte«, sagte er. Grinste schief. Aber Paula hatte sich bereits umgedreht. Und hielt auf den Ausgang zu.
    Es dauerte eine halbe Stunde, bis Paula endlich in einem Taxi saß. Eine weitere halbe Stunde, bis sie vor Maries Haus stand
     und feststellen musste, dass die Freundin nicht da war. Zehn Minuten später wusste sie, dass auch Sommerkornnicht zu Hause war. Als sie schließlich in der Polizeidirektion nach ihrem Bruder fragte, erhielt sie die Auskunft, er sei
     bei einem Einsatz. Paulas Sorge war in der vergangenen Stunde immer mehr angewachsen. Sie hinterließ eine Nachricht für ihren
     Bruder und setzte sich wieder ins Taxi. Also blieb nur noch eine Möglichkeit. Paula warf einen Blick auf den Zähler, dann
     öffnete sie ihr Portemonnaie und zählte das Geld. Das würde vielleicht gerade noch reichen.
    »Welche Ziegelgrube?«, fragte der Mann.
    » Sie
sind doch der Taxifahrer.«
    »Das schon. Aber nicht Gott.«
    Er benutzte das Navi, es knackte, und bald wusste er, dass es bei Friedrichshafen nur eine Ziegelgrube gab. Und die war hinter
     Fischbach.
     
    ☺
     
    Ich geh nicht mehr hin. Ich sehe sie schon vor mir. Ihre glotzenden Augen, ihr Tuscheln. Ich geh nicht mehr hin. Mam hat so
     einen Psychoheini geholt, und abwechselnd drohen sie mir mit Klapsmühle, Heim, blabla, die übliche Leier mit Leben wegwerfen.
     Als ob es da noch was wegzuwerfen gäbe.
     
    *
     
    Der Junge lag auf dem Boden mit seltsam verrenkten Gliedern und blutverkrusteten Haaren am Hinterkopf. In einer Ecke des Raumes
     lag die Plastiktüte. Rot. Das musste sie sein. Erst auf den zweiten Blick begriff Marie, dass die Hände des Jungen auf dem
     Rücken gefesselt waren. In dem Haus war es dämmrig, und als Marie sich über den Jungen beugte, tastete sie mit einer Hand
     nach ihrem Handy. Mit einer fahrigen Bewegung zog sie es ausihrer Jackentasche, klappte es auf. Das Licht fiel bläulich auf das Gesicht des Jungen. Es sah wächsern aus, unnatürlich bleich.
     Marie schluckte. Das alles war ein Albtraum, einer von der Sorte, in denen man versucht zu schreien, aber kein Wort herausbringt.
     Sie drückte die 110.   Wartete. Nichts. Dann erst merkte sie, dass sie keinen Empfang hatte. Also wieder raus und ein Stück gehen, so lange, bis
     ich telefonieren kann. Sie warf noch einen Blick auf den Jungen. Zögerte.

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