Novembermond
Ei n drücken. Ich fühlte mich mit dieser festlichen Stimmung verschmolzen und gleichzeitig völlig davon losg e löst.
Als gäbe es nur noch ihn und mich. Uns.
Die Zeit verging wie im Traum. Der Kellner setzte mir einen weiteren Gang vor, und ich aß mechanisch, ohne das Essen wirklich zu würdigen. Ich war e r leichtert, dass Julian schwieg, denn ich brauchte Zeit, um mich zu beruh i gen. Um nachzudenken. Seltsamerweise hatte ich keine Zweifel, dass er seine Worte ernst meinte. Dass er meine Gabe verstand und mich wiede r sehen wollte. Aber konnte ich mit Julian teilen, was mein Innerstes bestimmte? Mit einem Mann, der über solche Fähigkeiten verfügte? Solche Wünsche in mir auslöste? Was zwischen uns geschehen war , war verrückt, völlig verrückt. Unsere Gespr ä che über Visio nen. Die Verbindung, die ich spürte, genau wie diese unglaubliche sexuelle A n ziehung , die noch viel gefährlicher war .
Seine Macht.
Julian war ein Fremder. Ein Mann, der obendrein reich war und gut aussehend und viele schöne Frauen kannte. Er würde mein Leben verändern, und i ch wusste so gut wie nichts über ihn . V ielleicht wäre es besser, diesen Abend sofort zu b e enden und Julian nie, nie mehr wieder zusehen. Ich hatte den Schmerz, diese Hö l le, durch die ich nach der Trennung von Thomas gegangen war , nie wieder erl e ben wollen. Und Julian? Er würde mich noch tiefer verletzen können, dieser G e danke war plötzlich da, ohne dass ich ihn verhindern konnte .
„Das ist ein schöner Abend“, sagte ich nervös.
„Es freut mich, dass er dir gefällt.“ Sein Gesichtsausdruck blieb ruhig, das L ä cheln behutsam , sein Blick eine vorsichtige Bitte.
Da wusste ich, ich wollte und konnte nicht mehr zurück. „Magst du noch einen Spazie r gang machen?“ Ich fühlte mich so schüchtern, wie lange nicht mehr.
Julian nickte langsam. „Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht.“
Wenige Minuten später standen wir vor dem Restaurant. Zum Glück regnete es nicht. Julian schickte den uniformierten Mann weg, der sein Auto vorfahren wol l te. Mit einer kurzen Ve r beugung reichte er mir seinen Arm, und ich hängte mich bei ihm ein. Es tat so gut, Julian zu berühren, ihn neben mir zu spüren. Ich fand Julians altmodische Höflichkeit immer liebenswerter, und nicht nur sie. Die M a gie seiner Anziehungskraft, das G e heimnis, das ihn zu umgeben schien, sein Sex-Appeal und seine verhaltene Stärke, die Schutz verhieß, waren eine Mischung, vor der ich längst kapituliert hatte .
Als wir hinaus in die Nachtluft gingen, spürte ich die Kälte nicht mehr. Wir spazierten über den Gendarmenmarkt. Er gilt als einer der schönsten Plätze Be r lins, und dieses Lob ist nicht übertrieben. Im Konzerthaus ging gerade eine Ve r anstaltung zu Ende , und der weite Platz war voller Menschen, ande ren Paaren, die gut gelaunt ihrer Wege gingen.
Und irgendwie wusste ich, dass ich diesen Abend nie vergessen würde, egal, was später noch passierte. Ich würde mich immer daran erinnern, wie es war , hier neben ihm zu gehen, ihn an meiner Seite zu wissen. Daran, wie wir uns berüh r ten. An sein ernstes Gesicht und den lächelnden Blick seiner Augen, den herbstl i chen Geruch der Stadt, die helle Sichel des Novembermondes über uns und die Menschen um uns, in der Nacht unterwegs wie wir.
Kapitel 10
E
s gibt Momente, in denen sich Menschen wirklich begegnen. Diese Momente sind selten und kostbar, ich nenne sie magisch. Eine solche Begegnung hatte ich mit Julian gehabt, da war ich mir sicher. Aber seit ich in sein Auto ge stiegen war , schien sich Julian wieder zurückgez o gen zu haben. In sich selbst. Er schwieg und sah mich nicht an. Sein Blick fehlte mir, und das verunsicherte mich. Ich spürte, wie die Freude und Eupho rie, die seine Nähe in mir ausgelöst hatte , langsam verschwand und ich wie der bei mir a n kam. Und b ei meinen Zweifeln.
Noch war es möglich. Ich konnte die Sache einfach beenden, ihm sagen, ich hätte es mir anders überlegt.
Plötzlich wandte er den Kopf und sah mich an. Sein Lächeln b e rührte mich wie ein zärtliches Streicheln und wärmte mich . Ich spürte wieder dieses Band zw i schen uns aus Anzie hung und beginnendem Vertrauen, das viel stärker war als meine Zweifel. I ch wollte es nicht mehr ze rreißen.
Der Mercedes bog in meine Straße. Ich lehnte mich zurück und starrte nervös aus dem Seitenfenster. „Möchtest du noch mit nach oben kommen? Auf ein Glas Wein? Ich sage meinen
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