Novembermond
Patienten immer, sie sollen das Leben nicht au s sperren“, fügte ich blöderweise hinzu und hätte mir am liebsten sofort auf die Zunge gebi s sen. Wir waren noch dabei, uns kennenzulernen, und ich hatte nichts Besseres zu tun, als mich komplett lächerlich zu machen.
„Das Leben nicht aussperren?“, fragte Julian bedächtig . „Das ist ein wirklich guter Rat.“ Zum ersten Mal bemerkte ich seine schmalen Lachfältchen. „Ja, ich komme sehr gern mit dir. Auf ein Glas Wein.“
Ich spürte, wie ich rot wurde und studierte interessiert die Aussicht. Gott sei D ank war es eine wirklich dunkle Nacht.
Julian fand einen Parkplatz in der Nähe meiner Wohnung und stellte den M o tor ab. „Bist du dir sicher?“, fragte er abrupt. Er schien meine Zweifel zu sp ü ren.
„Ja.“
Sein Blick zeigte Erleichterung und spiegelte meine Freude. Er beugte sich zu mir, strich durch mein Haar. Er roch ganz wunderbar . Sein e Lippen waren kühl, sein Kuss sanft , sorgfältig und übertraf meine heimlichen Wünsche. Auch nac h dem Julian von mir a b ge rückt war , fühlte ich noch seine Wirkung , die mein en Körper durch drang, und i ch war froh, dass ich noch saß . Julian löste Empfindu n gen in mir aus, die mir peinlich gewesen wäre n, hätte irgendjemand davon g e wusst.
Kurz darauf öffnete ich die Haustür, und wir gingen die Treppe nach oben. Ich spürte Julians Gegen war t wie ein sanftes Prickeln, das meinen Rücken liebkoste. Was für ein au f regendes Gefühl und sehr beunruhigend. Trotz seines höflichen und korrekten Auftretens war Julian Erotik pur, mit einer maskulinen Anzi e hungskraft, wie sie mir nie zuvor begegnet war .
Ich dachte an die sen Moment der Leidenschaft, d en wir im Restaurant tei l t e n. U nd an meine Vision . Sofort versuchte ich , die heftigen Bilder, die in mir au f tauchten, von mir wegz u schieben. Mit jedem Schritt nahm meine B efangen heit zu , und als wir endlich im zweiten Stock vor meiner Wohnungstür standen, ve r ließ mich mein Mut . Meine Hände w a ren kalt und zitterten, ich hatte Mühe, das Türschloss zu finden und aufzuschli e ßen. In mei nem Kopf herrschte Chaos. Hatte ich mehr Angst vor ihm, seiner Wirkung auf mich - oder vor mir selbst? Wenn es um mich ging, dachte ich leider viel zu wenig nach. Oder zu viel, je nachdem. Noch nie hatte ich einen Mann mit in meine Wohnung genommen. Und jetzt? Ich hatte alle meine Grun d sätze über Bord geworfen und ein Glas Wein vorgeschoben, o b wohl ich … Ja, ich wollte Julian . U nbedingt.
Julian trat hinter mir ein. Ich schaltete das Licht ein, ging durch den Flur und betrat das Wohnzimmer. Wenigstens war aufgeräumt. Er folgte mir und schaute sich um. „D eine Wohnung gefällt mir .“
„ Danke. Möchtest du Weißwein? Rotwein? Mineralwasser? Oder lieber einen Kaffee? Ich kann dir auch Tee anbieten“, plapperte ich drauflos. Herrje. Ich hörte mich an wie eine Kellnerin. Allerdings eine von der albernen Sorte.
„Hast du einen trockenen Rotwein?“
„Aber natürlich .“
Verflixt. Und ein Valium für die Gastgeberin?
Während ich in der Küche stand , hörte ich, wie Julian die Balkontür öffn e te. Ich ermahnte mich, nicht länger so hysterisch zu sein und ging zu ihm, mit gefül l ten Weingläsern und klopfendem Herzen. „Ist dir nicht zu kalt?“ Es war imme r hin November.
„Nein, ich friere nicht.“
Er hatte den Kopf leicht zurückgelegt und betrachtete den Himmel. Seine A u gen schienen hell zu glänzen. Ich blinzelte, aber der Ei n druck blieb. Noch ein Hinweis, vorsichtig zu sein: Ich hatte schon viel mehr g e trunken, als ich glaubt e . Dann folgte ich seinem Blick. Der Nachthimmel war trübe und sah aus, wie mit schmutziger Watte überzogen. Irgendwo dahinter versteckte sich der Mond.
Auf einmal war mir kalt.
Es würde ein langer, dunkler Winter werden.
Ich wollte nicht länger allein sein.
Einmal hatte ich geglaubt, einem Mann vertrauen zu können, mich anlehnen zu dürfen. Das war ein Irrtum gewesen. W äre Julian bereit, mich zu halten, auch wenn ich mich einmal nicht so stark fühlte? Er war bestimmt nicht der Typ, der u m fiele. Aber vielleicht würde er einfach einen Schritt beiseitetreten?
„Entschuldige. Du frierst.“ Julian trat zurück, ließ mir den Vortritt und schloss die Balko n tür.
Ganz der Gentleman.
Wir standen mitten im Zimmer, ich nippte an meinem Wein und zermarterte mir den Kopf. Ich brauchte dringend ein Gesprächsthema. Irgendeins. A l lerdings hatte Small Talk
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