Novembermond
seiner persönlichen Rache.“
Julian verlor sich in düsteren Gedanken und versuchte, den Zorn, der ihn b e drängte, im Zaum zu halten. Für wenige Stunden hatte er sich erlaubt, zu trä u men, aber die Realität holte ihn schnell wieder ein. Sein Plan war es gewesen, mit Armando zu sprechen, den Inneren Kreis über seinen Zustand zu informi e ren und sich dann, nach einem vor läufig letzten Treffen mit Ellen, für das Ark a num zurückz u ziehen. Aber das war unmöglich, wenn Gregor in Berlin war .
Gregor hatte sich noch nie unter Kontrolle gehabt . Er war ein Schlächter . Me n schenleben bedeuteten ihm nichts; und er tötete und wandelte, um sich am Leid und Blut zu berauschen.
Blut war für Julian noch nie ein G rund zum Töten gewesen. Doch was es hieß , die Raserei des Blutes im anderen wieder zufinden und diese Lust bei der Wan d lung ausz u toben, wusste er selbst nur zu gut. Das Tier von der Leine zu lassen, den brutalen D urst endlich zu stillen. Wandlung konnte eine gefährliche Gra t wanderung sein, und der Gier des Blutes nachzug e ben , zur Besessenheit werden. Er war immer äußerst vorsichtig mit seinen Möglich keiten umgegangen und z u rückhalten d mit der Zahl seiner Wan d lungen . Gregor war ih nen längst erlegen.
Julian wandte sich wieder an Andrej und Sam. „Wir konnte n Gregor bereits b e sie gen , a ber e r wird niemals Ruhe geben , solange er lebt . Wir müssen ihn en d lich finden. Und töten. Berlin gehört uns.“
*
Nachdem Julian aufgebrochen war , musste ich sofort eingeschlafen sein.
Am Sonntag schlief ich lange , danach fühlte ich mich wach und gut gelaunt. Ich dachte an Julian. Sein Lächeln. Se i ne Berührungen. Ich sehnte ihn herbei.
Ich kochte Kaffee und suchte aus dem Kühlschank die letzten Reste für ein Frühstück z u sammen. Dann verbrachte ich einen ruhigen Tag auf dem Sofa, ließ den Stapel Akten aus der Klinik in mei ner Tasche und sah zwei Folgen der let z ten Staffel von Leidenschaft in Weiß , die ich irgendwann ve r passt hatte .
Am Abend vergaß ich die geöffnete Flasche Rotwein und saß so lange in der Badewanne, bis meine Haut dampfte und jeder Hautarzt entsetzt die Hände über dem Kopf zusamme n geschlagen hätte. Dann ging ich ins Bett. Ich konnte mich nicht dazu en tschließen, es frisch zu beziehen, denn eine Spur von Julians Geruch hing noch immer zw ischen den Laken. Darauf wollte ich nicht ve r zichten.
Ich angelte meinen Stoffhasen unter dem Bett hervor und entschuldigte mich. Er akzeptierte und lächelte mich an. Das h elle Beige seines Gesichts ließ sich vom Braun des Körpers kaum noch unterscheiden, denn ich wagte es nur noch sel t en, ihn in die Wasc h maschine zu setzen.
Vorsichtig bettete ich ihn auf mein Kopfkissen und legte mich mit dem Hinte r kopf auf seinen Bauch.
Das mochten wir beide gern.
Bald würde ich Julian wiedersehen.
Meine Zweifel und Ängste hielten sich immer noch fern, was mich erstaunte. Vorsichtig wagte ich es, mich auf Mittwoch zu freuen.
Den Montag verbrachte ich mit einem Dauerlächeln im Gesicht. Auf dem Weg zu meinem Büro b e gegnete mir mein Oberarzt, Dr. Benjamin Brunner. Oder Benno, wie wir ihn nennen sollten. Benno war seit einem Jahr Oberarzt auf uns e rer Station. In den ersten Monaten hatte er meine Arbeit so sehr gelobt, dass es mir peinlich war . Damals versuchte er noch, mit mir auszugehen, und es dauerte lange, bis er endlich aufg ab . Inzwischen fand er die unmö glichsten Gründe, um meine Arbeit zu kritisieren und war mit seinen A n näh e rungsvers u chen auch bei der letzten unverheirateten Krankenschwester geschei tert. Bei den Praktikanti n nen sowieso. Die glaubten noch an ihre Zukunft.
Der Klingelton seines Handys war You ’re beautiful von James Blunt, aber es half wohl nicht. Er war wirklich kein Mädchenherumkrieger, auch wenn er das von sich glaubte. O bendrein war er arrogant, dünkelhaft und weder bei den Patienten noch auf der Station beliebt. Wenn er mit dem Chefarzt zusammen war , zeigte er das Rückgrat eines Bind fadens und bewies immerhin , dass er ein guter Schleimer war . Irgendwie musste er ja an seinen Posten g e kommen sein.
„Ich habe gehört, dass Sie am letzten Donnerstag viel zu spät zum Dienst e r schienen sind“, sagte er zu mir. Hätte Benno mehr Zeit auf der Station ve r bracht, wäre ihm das schon früher aufgefallen. Er musste den Kopf in den Nacken legen, um zu mir aufzusehen, während ich auf ihn hinabschauen konnte . Das freute mich.
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