Novemberrot
Doch der Kommissar zierte sich seltsamerweise noch. Seine Hände zitterten vor Aufregung, als sie den Pappkarton berührten. Dann antwortete er leise, jedoch ohne seine Partnerin dabei anzusehen: »All die Jahre seit dem Mord am alten Kreismüller war ich wie besessen darauf aus, dessen Mörder zu finden. Es hatte mich innerlich zerfressen, dass wir den Täter damals nicht überführen konnten. Mir spukte nur noch die Geschichte im Kopf herum. Selbst meine Familie ist daran zerbrochen. Und als jetzt 24 Jahre später sein Sohn ermordet wurde, dachte ich, nun schließt sich der Kreis und ich bekomme meine zweite Chance. Alles habe ich daran gesetzt, diesmal nicht zu versagen. Wie besoffen war ich von der Vorstellung, womöglich beide Verbrechen aufklären zu können. Doch nun sitze ich hier, so dicht davor und habe Angst, diesen blöden Pappdeckel aufzuschlagen.« Er hob den Kopf und blickte seine Kollegin an. Wellers Gesichtsfarbe glich dem tristen Grau der tiefhängenden Wolken .
» Ich verstehe dich. Aber du MUSST das jetzt tun, sonst hat es nie ein Ende und du gehst kaputt daran!« Steffi merkte deutlich, wie sehr sich Weller quälte und ermutigte ihn weiter: »Na los mach schon, oder soll ich?« Der Kommissar hielt kurz inne, atmete tief durch und klappte den Deckel auf. Dann las er den Text, ohne jegliche Betonung: »Die Abdrücke auf den sichergestellten Beweisstücken und dem Papiertaschentuchpäckchen sind identisch.«
»Und das bedeutet?«
»Das bedeutet, dass Sandra, Rosis Tochter, darin verwickelt ist.« Weller hatte dieses Ergebnis zwar befürchtet und gedanklich durchgespielt, doch als er es nun Schwarz auf Weiß vor sich sah, fiel er wie vom Schlag getroffen zurück in die Rückenlehne seines Bürostuhls .
» Meine Tochter eine Mörderin, welch grausame Vorstellung!«
»Gut, wir schicken eine Streife in die Uni und nach Mayberg.« Kommissarin Franck nahm das Heft in ihre Hände. Doch ehe sie ihre Ankündigung umsetzen konnte, betrat plötzlich einer der Pförtner das Büro der beiden. Er reichte dem Kommissar ein beiges Couvert mit den Worten: »Hier für Sie, kam eben via Eilkurier. Er ist an Sie persönlich adressiert.« Und mit den Worten »keine Sorge, ich habe daran gelauscht, er tickt nicht« rauschte der Überbringer grinsend wieder davon .
» Wer schickt mir denn einen Brief«, grübelte der überraschte Empfänger und drehte den Briefumschlag um. Ganz klein in der oberen linken Ecke hatte sich der Absender verewigt .
» Von wem ist er?«, fragte Steffi neugierig .
» Rosi!«, antwortete Fritz mit verwunderter Miene und öffnete die Postsendung mit seinem Taschenmesser. Dann zog er zwei in der Mitte gefaltete Seiten und einen kleinen, silbrigen Schlüssel heraus. Er klappte die Blätter auseinander. Sie waren vollständig mit blauer Tinte in feinster Handschrift beschrieben.
»Lieber Fritz, wenn du diese Zeilen liest, kannst du mich nicht mehr retten. «
Wellers Augen verharrten regungslos gleich an diesem ersten Satz und sein geschundenes Herz trommelte hart gegen die Innenseite seines Brustkorbs. Nur hintergründig nahm sein Bewusstsein zur Kenntnis, dass das Telefon läutete und Steffi sich zunächst betont ruhig mit ihrem Namen meldete. Dann umso unerwarteter für ihn schrie sie von blankem Entsetzen gepackt gellend auf: »Was nein, das gibts doch nicht! Wir kommen sofort!« Er zuckte jäh zusammen. Seine Pupillen flatterten nervös .
» Fritz schnell, das Kreismüller-Haus brennt!« Fritz wusste zunächst nicht wie ihm geschah und nur mit enormer Kraftanstrengung gelang es ihm sich aufzurappeln .
» Du musst ihn mir während der Fahrt vorlesen!« Er drückte ihr den Brief die Hand. Allerdings war diese Begebenheit für die Kommissarin nichts Außergewöhnliches. Denn ihrem Partner wurde es sofort speiübel, wenn er auch nur wenige Zeilen in einem fahrenden PKW zu lesen hatte. So schnappten sich die beiden hastig ihre Winterjacken und rannten durchs Treppenhaus zu seinem Passat. Wie ein Berserker prügelte Weller nun seinen Dienstwagen gen Mayberg. Getrieben von der Furcht, Rosi habe sich etwas angetan.
Er kannte kein Pardon. Selbst die rotzeigende Ampel der Baustelle am Eisenbahnviadukt stellte kein Hindernis für ihn dar. Fritz dachte überhaupt nicht daran, die Geschwindigkeit zu verringern. Er raste einfach an den wartenden Autos vorbei und fädelte gerade noch rechtzeitig wieder vor dem Gegenverkehr ein. Steffi schwitzte auf dem Beifahrersitz kauernd Blut und Wasser. Doch
Weitere Kostenlose Bücher