Novemberrot
drehte sich zu den Kommissaren um. In seinen Augen spiegelte sich plötzlich seine ganze Hilflosigkeit wieder und resignierend sagte er: »Keine Chance, das alte Gebälk brennt wie Zunder, da hat man schnell 800 bis 1000 Grad, da bleibt am Ende nicht mehr viel übrig, keine Chance, keine Chance.«
Dann ließen die Feuerwehrmänner Weller und seine Kollegin am massiven Torbogen alleine zurück. Es begann zu nieseln. Der feine Regen spülte die aufgestiegene Asche hernieder und überzog Menschen, Fahrzeuge und alles Andere was sich sonst noch im Dunstkreis des Feuers aufhielt mit einer schmutzig klebrigen Schicht. Fritz richtete seine Augen in den Abendhimmel. Doch seltsamerweise, sozusagen wie von Zauberhand berührt, empfand er plötzlich keine Trauer mehr. Vielmehr breitete sich eine unbändige Erleichterung in ihm aus. Doch dies hatte nichts mit der Tatsache zu tun, dass Sandra lebte. Vielmehr war es das gleiche, unbeschreibliche glückselige Gefühl wie heute Morgen. Nur dieses Mal verspürte er es noch intensiver. Er konnte es beinahe mit seinen Händen greifen.
Am liebsten hätte er seine Freude laut in die Welt gerufen und wäre im Regen über die Wiesen getanzt. Mit einem verzückten Lächeln um die Mundwinkel und leuchtenden Augen sagte er zu Steffi: »Sie hat endlich ihren Frieden gefunden!«
Um die Mittagszeit des darauffolgenden Tages gelang es der Feuerwehr, den Brand schließlich vollständig zu löschen. Die Kriminaltechniker fanden inmitten des ausgebrannten Hauses die verkohlten Reste von menschlichen Hüftknochen. Ob es wirklich Rosis sterbliche Überreste waren, konnte allerdings niemand mehr feststellen. Nur aufgrund ihres Abschiedsbriefes und der Tatsache, dass die Frau auch sonst wie vom Erdboden verschluckt war, erklärte man Rosemarie Kreismüller für tot und bestattete das, was von ihr noch übrig war, in einem Grab unmittelbar neben dem ihrer Mutter auf Maybergs Friedhof. Rosis umfassendes Geständnis gab die entscheidenden Impulse zur Aufklärung beider Morde. Die Polizei verdächtigte ihre Tochter Sandra nun nicht mehr, am Tode Manfred Kreismüllers schuldig zu sein und man schloss neben diesem Fall nun auch endgültig die Sache Heinrich Kreismüller als aufgeklärt ab. Erst einige Tage später wurde es Fritz bewusst, dass sich nicht nur Rosi, sondern auch er selbst von den Schatten der Vergangenheit endgültig befreit hatte … jeder auf seine Art.
Ende?
Fünf Tage vor Heiligabend war Kommissar Weller in seinem silbermetallic-farbenen Passat unterwegs von Burgstadt nach St. Josef. Für 10 Uhr war in der dortigen Dienststelle eine Besprechung anberaumt. Da er noch gut eine Stunde Zeit hatte, rollte er gemächlich die Bundesstraße entlang. Aus den Lautsprecherboxen klangen leise die Songs des aktuellen Queen Albums Innuendo. Die letzte Nacht war klirrend kalt gewesen und Raureif hatte sich über das Gras der nahen Wiesen gelegt. Weißgraue Schneewolken bevölkerten den gesamten Himmel. Ohne erkennbaren Grund bog er nach Mayberg ab. Er fuhr die Dorfstraße entlang bis zur Kirche. Hier parkte er seinen Wagen in der Segbachstraße. Er stieg aus, ging an der Kirche vorbei, dann den von schmalen Birken gesäumten Fußweg hin zum Friedhof. Plötzlich riss die dichte Wolkendecke auf und Sonnenstrahlen stachen grell durch die Lücke. In ihrem Lichtschein erblickte Fritz an der Stelle, wo Marias und Rosis Gräber lagen, einen dunkel gekleideten Mann mit schwarzem Hut. Fritz ging langsam auf ihn zu und blieb neben ihm stehen. Der Unbekannte beachtete ihn nicht. Er hatte seinen Kopf gesenkt und betete leise. Fritz sah ihn verstohlen von der Seite an. Er war dabei gezwungen, seine Augen zusammenzukneifen, denn die Sonne stand genau hinter dem Fremden und blendete ihn. Fritz konnte so nur schätzen, dass der Mann deutlich älter war als er selbst. Und obwohl er dem Alten noch nie zuvor in seinem Leben begegnet war, war er sich trotzdem sicher, ihn irgendwoher zu kennen .
» Manchmal geschieht Sagenhaftes«, murmelte Fritz leise vor sich hin .
» Stimmt«, antwortete der alte Mann lächelnd, ging an ihm vorüber und verließ den Friedhof. Fritz folgte ihm mit gehörigem Abstand. Als er wieder in seinen Dienstwagen einsteigen wollte, fuhr ein dunkelgrüner Volvo mit getönten Scheiben und norwegischem Kennzeichen aufreizend langsam an ihm vorbei. Rechts auf dem Rücksitz glaubte Fritz eine Frau mit langen, blonden Haaren zu erahnen, die ihn ansah …
Quellenverweis
»Drah di net um, der
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