Nr. 13: Thriller (German Edition)
Bier vor ihm sprachen jedenfalls für Daniels Theorie. Theo, so hatte Gloria ihn genannt, trug einen ockergelben Freizeitanzug. Der Reißverschluss des Oberteils war bis oben geschlossen. Während es an Theos Schultern viel zu locker hing, füllte der hervorstehende Bauch es in der Mitte etwas zu gut aus. Seine Füße steckten in grauen Baumwollsocken, die früher einmal weiß gewesen sein mussten, und die wiederum in Outdoor-Sandalen. Daniel dachte daran, wie nass sie sein würden, bevor Theo zu Hause war, aber vermutlich merkte dieser das bis dahin eh nicht mehr. Er hatte eine silberne Kreole in seinem Ohr und eine Armbanduhr aus Goldimitat an seinem Handgelenk. Ob seine Haare fettig oder nass waren, konnte Daniel nicht sagen. Er schätzte ihn auf um die 60.
„Warum sind die Laternen draußen dunkel?“, fragte Daniel die beiden über seinen Becher hinweg. „Der komplette Straßenzug ist nicht aus, nur die hier in der Ecke.“
Als Theo schnaubte, stob ein Bierregen über den Tisch. „Kids.“
„Nee.“ Glorias Stimme klang so energisch, dass Daniel vermutete, wenn sie erst einmal richtig loslegte, konnte sie den Fernseher der Nachbarn gegenüber übertönen. „Das waren keine Kinder, sondern Jugendliche.“
„’ne ganze Clique.“ Gelassen nippte Theo an seiner Flasche, deren Boden genauso dick war wie die Gläser seiner Hornbrille.
„Nee. Das war ’ne Gang. Die haben die Lampen gelöscht. Jawoll.“
„Das klingt ja, als hätten sie die Lichter ausjeblasen. Du musst es dem Herrn Kommissar schon richtig sajen. Die Mischpoke hat sie ausjetreten.“ Er überhörte das schnippische Grunzen der Frau. „Ich wollte schon rausjehen und sie anblaffen.“
„Aber du hast dich nicht getraut, haste nicht.“ Sie lächelte herablassend.
„Hätteste ja auch machen können.“
Daniel war noch nie jemandem begegnet, der sich weniger bewegte als Gloria. Weder gestikulierte sie noch änderte sich ihr Gesichtsausdruck, während sie redete. Sie saß auf ihrem Rollator, auf dessen Sitzfläche ihr Hintern kaum passte, und erweckte den Anschein, dort festgewachsen zu sein. Wie ein Fels in der Brandung dieses Viertels.
„Ich bin doch nicht lebensmüde, nee, bin ich nicht.“
„Eben. Ich auch nicht. Der eine ließ ständig ein Klappmesser auf- und zuspringen, wie in diesen Serien, bei denen ich immer wegschalte, weil mir das zu jruselig ist, diesen Krimis. Sie schwangen jroße Reden, schlugen jejen Fensterläden und Eingangstüren. Mit denen legt man sich besser nicht an.“
Daniel nickte. Jetzt verstand er. Unter diesen Umständen handelte es sich offenbar wirklich um einen Zufall, dass es ausgerechnet Stefan Haas erwischte. „Die Dunkelheit führte zu dem Autounfall auf der nächsten Kreuzung.“
„Das jlaube ich nicht.“
Überrascht hielt Daniel, der gerade mehrere Schlucke hintereinander getrunken hatte, inne. Angenehm warm floss der Kaffee seine Kehle hinab. „Wie meinen Sie das?“
Theo hielt seine leere Flasche hoch. „Ich will noch ’n Bier.“
Ohne großartig den Rücken zu krümmen, öffnete Gloria einen kleinen Kühlschrank unter der Ladentheke. „Hier unten ist nichts mehr. Nix. Hast alles weggesoffen.“
Murrend schlurfte Theo ins Lager und füllte den Bestand auf.
Jetzt wusste Daniel auch, wie Gloria die Arbeit geschafft bekam, obwohl sie sich kaum rührte. Sie hatte ihre Stammgäste gut erzogen. Chapeau! „Sie sagten, Sie glauben nicht daran, dass die fehlende Straßenbeleuchtung schuld an dem Unfall war.“
„Ich weiß, was ich gesagt hab.“ Mit einem Öffner, der mit einem Stück gelber Wäscheleine an den Verkaufstresen festgemacht war, entkronte Theo die Flasche und schleppte sich an seinen Platz zurück.
„Was war es dann?“
„Der Typ ist jerannt, als wäre der Beelzebub persönlich hinter ihm her. Hier vorbei, am Kiosk, direkt vor diesem Fenster.“
„Er wurde gejagt?“, stieß Daniel überrascht aus. Wer könnte hinter ihm her gewesen sein? Als Erstes fielen Daniel die protestierenden Nachbarn ein. „Wollen Sie das andeuten?“
„Jenau. Er lief vor jemandem weg. Hat sich immer wieder umjeguckt mit Augen groß wie Dachluken.“
„Was erzählste für einen Blödsinn? Er war es, der jemanden verfolgt hat. Jawoll!“ Gloria langte in eine der Boxen mit Süßigkeiten und schob sich ein Gummitier in den Mund.
„Und deshalb jlotzt er ständig über seine Schulter zurück?“ Nonchalant tippte sich Theo mit dem Flaschenboden gegen die Schläfe oder er hatte das vor,
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