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Nr. 799 (German Edition)

Nr. 799 (German Edition)

Titel: Nr. 799 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuna Stern
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versuchen, spüre den Schmerz wie einen Würgegriff um meinen Hals. Jemand würgt mich, bis ich Blut spucke und aufgebe. Ich gebe auf. Und schließe die Augen. Der Schmerz ist zu stark.
    »Der Aufzug ist da«, sagte jemand. »Hanna?«
    »Was ist mit ihr?«
    »Hanna?«
    »Sie bewegt sich nicht.«
    »Sie sieht uns gar nicht an.«
    Eine warme Hand legte sich auf meine Schulter. Ich sah hoch und erblickte Davids besorgtes Gesicht. Sein Mund wirkte verkniffen, als er mich musterte, als wüsste er nicht, wie er mit der Situation umzugehen hatte. »Was ist mit dir?«, wisperte er.
    Er sah so anders aus als mein Freund, als Bastian. Er war hochgewachsen, elegant und mit sanften Gesichtszügen, obwohl er die ganze Zeit versuchte, das Gegenteil davon auszustrahlen. Hart zu wirken. Unnahbar. Aber in seinen Augen blitzte die Sorge.
    Und plötzlich fragte ich mich – auch voller Sorge: Hatte Bastian diesen Autounfall überstanden? Ich erinnerte mich nicht daran, dass ich Fräulein Ingrid W. danach gefragt hätte. Was war mit Bastian geschehen? Hatte er überlebt ?
    »Nichts«, erwiderte ich. »Gehen wir.« Ich wies auf den Aufzug. »Sonst schließt er sich gleich wieder.«
    Destiny und Achilles warfen sich stirnrunzelnde Blicke zu, während Mia mir aufs Wort gehorchte und in den Aufzug sprang, als wäre nichts passiert. Dann folgten ihr auch die beiden anderen. Ehe ich einen weiteren Schritt tun konnte, hielt mich David zurück.
    »Was war mit dir?«, fragte er wieder, grober diesmal, weil ich ihm nicht richtig geantwortet hatte. »Hm?«
    »Nichts«, wiederholte ich und befreite meinen Arm aus seiner Umklammerung.
    Schweigend folgte er mir in den Aufzug, wo wir kein einziges Wort mehr miteinander wechselten. Selbst Mia, die bis vor kurzem noch völlig gut gelaunt war, merkte offenbar, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie sah uns prüfend an, ließ ihren wachsamen Blick von David zu mir wandern und wieder zurück. Irgendwann seufzte sie wie eine Erwachsene und schloss die Augen, als hätte sie genug gesehen.
    Ich musterte mich im Spiegel. Mein Gesicht war leichenblass und meine Unterlippe – scheiße – blutete sie? Ich tastete verwirrt über meine Lippen, doch fühlte nichts. Als ich einen weiteren Blick in den Spiegel warf, war das Blut verschwunden. Und David sah mich von der Seite so argwöhnisch an, dass ich schnell mein Gesicht abwandte.

KAPITEL 7

Ich durfte mich nicht erinnern. Das konnte nicht sein. So hatten sie es mir erklärt. Kimberly hatte gesagt: Nur die Vergangenheit schwindet, der Körper bleibt. Also, wieso sah ich Szenen aus meiner Vergangenheit, wenn dies nicht möglich sein sollte? Und wieso konnte ich mich sogar an den Augenblick meines Todes erinnern? Und an Bastian? Und plötzlich auch an seine letzten Worte an mich, bevor ich den Lastwagen bemerkte? »Hau ab mit mir«, hatte er gesagt. »Einfach so. Lass es uns machen.«
    Ich schluckte und konzentrierte mich auf den Ausbilder, der gerade an der Tafel etwas aufschrieb. Er hieß Ben, war noch ganz jung, hatte ein Ziegenbärtchen am Kinn und einen geflochtenen, strohblonden Zopf.
    Destiny hatte bei seinem Anblick schwärmerisch geseufzt und meinen Aussetzer völlig vergessen. Einzig David schien sich noch daran zu erinnern, er saß zwei Plätze weiter neben Achilles. Wir mussten mit der hintersten Reihe vorliebnehmen, weil wir als Letzte eingetroffen waren. Immer wieder warf mir David neugierige Blicke zu.
    Ich schrieb hastig alles auf, weil ich seinem Interesse ausweichen wollte. Ich konnte ihm einfach nichts erzählen, weil ich es selbst nicht verstand. Ich kritzelte also weiter, hörte Ben zu, der uns mit seiner schrillen Stimme Erklärungen für unsere Anwesenheit in der Anstalt zu liefern versuchte, dabei jedoch kläglich scheiterte. »Ihr fragt euch sicherlich, warum ihr , oder?« Er ließ die Kreide sinken und drehte sich schwungvoll zu uns um. »Warum wurdet ausgerechnet ihr dazu auserwählt, hier zu bleiben? Während eure ehemaligen Freunde und Nachbarn weiterreisen dürfen? Ins Licht?« Er begann zu lächeln. »Es ist ein Privileg, dass ihr an diesem Ort verweilen dürft. Ihr seid frei.«
    Frei? Ich ärgerte mich darüber, dass er so etwas behauptete. Es war eine verdammte Lüge.
    »Vielleicht erinnert ihr euch, vielleicht auch nicht: Auf der Erde gibt es Zugvögel, die zu verschiedenen Jahreszeiten durch Länder reisen, die extrem weit voneinander entfernt liegen. Sie haben eine unglaubliche Gabe, die von den Lebenden nicht geschätzt und auch

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